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Kultur: Stimme und Stille

Der Filmemacher Atom Egoyan wirft in „Ararat“ einen Blick auf seine eigene Geschichte

Natürlich haben wir Vorurteile gegen Regisseure. Im Falle des Kanadiers Atom Egoyan, geboren in Kairo, ist es das Vorurteil, dass er ganz und gar außergewöhnliche Filme macht. Und selbstverständlich ist auch dieses Vorurteil, wie jedes, sehr gut begründet. Wie sich das bei Egoyan zusammensetzt: Puzzle aus lauter scheinbar stummen Weltscherben, und vom Ende her zeigt sich jedes Teilchen noch einmal neu. „The Sweet Hereafter“ („Das süße Jenseits“, 1997) war ein Glasperlenspiel im kanadischen Winter. Und man wusste, diesem Regisseur kann man sich für jede Reise anvertrauen.

In „Ararat“ liegt das Ziel Atom Egoyan selbst viel näher und viel ferner zugleich. Der Regisseur armenischer Herkunft lässt einen anderen Regisseur armenischer Herkunft, gespielt von einem Sänger armenischer Herkunft (Charles Aznavour), einen Film über den türkischen Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs drehen. Das ist nur einer von vielen Fäden, die sich in „Ararat“ verweben, lösen und wieder verschlingen, um am Ende, so darf man vermuten, eine entscheidende Frage zu beantworten: Was bedeutet es für ein Leben, wenn die eigenen Wurzeln in einem Land liegen, das man nicht kennt, von dem man kaum etwas weiß und von dem schon die Älteren, die gerade Entkommenen, nichts mehr wissen wollten?

Egoyans Großmutter sprach noch armenisch. Als sie starb, sagt der Regisseur, habe ihn seine Sprache verlassen. Seine Eltern lebten bewusst dort, wo es keine armenischen Kirchen oder Schulen gab. Und auch er wollte vor allem eins: so sein wie die anderen. Eine fürwahr dämonische Koalition des Vergessens entstand. Die Türkei gesteht den Genozid an den Armeniern bis heute nicht ein, und Hitler ermutigte einst zum Völkermord an den Juden unter Berufung auf das Schicksal der Armenier. Ein sofort vergessener Millionenmord. Als ob er niemals stattgefunden hätte. So würde es auch bei den Juden sein, versprach Hitler.

Egoyan will ganz sicher gehen. Viele bekommen in „Ararat“ eine Stimme des Erinnerns, wo vorher nur Stille war. Männer und Frauen. Ältere, Jüngere. Egoyan verknüpft sie überdies durch private Schicksale. Vielleicht ist das der Grund, warum „Ararat“ merkwürdig konstruiert wirkt. Da ist nicht nur der alternde berühmte Regisseur, den Aznavour mit dauersteinernem Gesicht spielt, auch eine junge Kunsthistorikerin, die einen berühmten Maler neu interpretiert, von dem man lange nicht wusste, dass er Armenier war (etwas überengagiert: Arsinée Khanjian). Nun muss auch der Maler noch mit in den historischen Film, dessen Szenen wir ausführlich anschauen, irgendwann sehr dankbar dafür, dass uns die volle Länge erspart bleibt. Kitsch oder Parodie? Beides wäre gleich schlimm. Und trotz der falschen, bunten Lebenswärme dieses Films im Film – oder auch deshalb - , vereist „Ararat" gerade so wie die Kuppe dieses berühmten armenischen Berges.

In Berlin in den Kinos Blow Up, Hackesche Höfe, Kant und Neues Off (alle OmU)

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