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Kultur: Stirb schneller!

Stephan Kimmigs verstörende „Hedda Gabler“ am Thalia Theater Hamburg

Sie haben es verdammt eilig. Neunzig Minuten – ein paar hektische Wortwechsel, angedeutete Zusammenbrüche, Raufereien –, und Hedda liegt tot an der Rampe. Sie hat sich, kniend, Schutz suchend wie ein Kind, in den Kopf geschossen. Sie war schwanger.

Die schnellste „Hedda Gabler“ der Theatergeschichte, kürzer als die Zugfahrt von Berlin nach Hamburg!? Und doch spürt man den quälenden Leerlauf im Leben der frischvermählten höheren Tochter, ihre Antriebslosigkeit, die sie mit präzisen Schießübungen und kindlich-trotzigem Klaviergeklimper überspielt. Hedda zieht sich in den anderthalb Stunden, die ihr den Rest geben, auch noch mehrfach um. Erst im Strickkleid mit scharfen Cowboy-Boots, dann im Rock, schließlich in roter Abendrobe: Wozu Susanne Wolff, eine schöne, hochgewachsene Frau mit leidenschaftlichem, streitbarem Schmollmund, auf der rasenden Fahrt in den Abgrund noch Zeit findet, alle Zeit der Welt, ist frappierend.

Ein brutaler Galopp. Eine kleine Ewigkeit. Das Paradox gilt für die Hochgeschwindigkeits-„Hedda Gabler“ ebenso wie für den unsterblichen Dramatiker. Das alles ist sehr weit weg, diese Salons, diese Angst vor der öffentlichen Meinung, diese gigantische Wirkung kleiner Vergehen und Versehen. Wir sind auf unheimliche Art und Weise nah dran. Ein Brief in falschen Händen, eine verlegte Aktentasche, eine vergessene Jugendliebe, die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

Regisseur Stephan Kimmig empfiehlt sich erneut als Ibsen-Versteher. Und Ibsen bleibt uns Postfeministen als bürgerlicher Visionär und Beziehungs- und Zerstörungstechniker erhalten. Alles, was nach ihm kam, die neuerdings auch wieder so gern gespielten Tennessee Williams’ und Albees, gehen auf den Norweger zurück. Weil die bürgerliche Grundlage unseres Theaters lange schon brüchig geworden ist, brauchen die Bühnen diese Dramen. Um sich zu renovieren.

Vor zwei Jahren setzte Kimmig am Thalia Theater mit derselben Schauspielerin eine flirrend sensible und kühle „Nora“ in Szene; die Hamburger waren damit zum Berliner Theatertreffen eingeladen. „Hedda Gabler“ ist aber nicht unbedingt als Fortsetzung zu sehen; ohnehin ein anders gestricktes Stück, rätselhafter, bedrohlicher als die „Nora“, weil man nichts wirklich weiß über die Konflikte und Katastrophen in Heddas kurzem Leben. Kimmig malt die Tragödie nicht aus (wie Andrea Breth in den frühen Neunzigerjahren an der Berliner Schaubühne), er liefert eine Skizze ab. Strikt aus der Perspektive der traurigen Heldin. Heddas Zeitgefühl bestimmt diesen angebrochenen Abend. Für sie ziehen sich Tage und Nächte erbärmlich hin; also werden zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten, in denen ab und zu ein Mann hereinschaut wie ein Wesen aus einer anderen Welt, zu Hölle. Für sie sind fünf Minuten Einsamkeit erdrückend (denkt sie bereits an Selbstmord?), und dann wieder wird ihr jede Gesellschaft unerträglich.

Man folgt Susanne Wolff auf ihren abrupten Wanderungen durch das kaum bewohnbare weiße Designer-Heim (Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes), man hasst dieses Gefängnis wie sie, man betrachtet Hedda, wie sie selbst sich sieht: als leicht irre, verirrte Fremde. Die Klimaanlage lärmt und vibriert, immer lauter, die grellen Scheinwerfer klicken und krachen, die Musik (Janis Joplins „Peace of My Heart“) scheppert wie eine Blechbüchse. Was für eine Frau! Aber nicht auszuhalten.

Die Männer, alle, gehören hier einer auslaufenden Spezies an. Unfähig, Hedda zuzuhören oder ihr auch nur für einen Moment ein Gefühl von Geborgenheit zu geben. Sex und Erotik bleiben in einer so sterilen Versuchsanordnung unbekannte Größen. Sie haben nicht nur nichts miteinander. Sie würden nicht mal gern.

Außer Olaf Brack, vielleicht. Der Anwalt und Freund des Hauses, Heddas Schutzteufel, hat bei Werner Wölbern einen Rest Männlichkeit. Und steht am Ende da wie ein Troll ohne Spielzeug. Felix Knopp, Heddas Gatte Jörgen Tesman, trägt bloß seine Bedenken über die Schwelle des Ehedomizils, ein armer Spätmerker. Eilert Lövborg, wissenschaftliches Genie und Hallodri, ist bei Hans Löw weder das Eine noch das Andere. Löws Lövborg kann sehr nett verzweifelt lachen; und ist schon wieder aus der Tür. Fritzi Haberlandt bringt mit Heddas Freundin Thea eine Frau ins Spiel, die mit den Männern gemeinsame Sache macht. Hektisch, vernünftig, anschmiegsam. Die nächste Nora.

Fertig, aus. Ein kurzes Stück? Nein, eine einzige lange Schlussszene. Hedda wer? Hedda warum? Da fällt schon der Schuss.

Rüdiger Schaper

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