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Kultur: Stolz der Besiegten

Freiheit, in Stein gehauen: Ein Symposion ergründet den Baumeister Karl Friedrich Schinkel

Er ist der Säulenheilige der Berliner Architekturgeschichte, war der Chef der Preußischen Bauverwaltung, der heimliche Hofarchitekt König Friedrich Wilhelms III. und seiner vier Söhne: Karl Friedrich Schinkel. Der romantisch-klassizistische Tausendsassa gilt als ein Künstler, der sich nie öffentlich zur politischen Gretchenfrage von Revolution oder konstitutioneller Monarchie geäußert hat. Und das, obwohl der vor beinahe 225 Jahren am 13. März 1781 in Neuruppin geborene Sohn eines protestantischen Superintendenten Zeiten erlebte, die polarisierender und kriegerischer nicht sein konnten.

Angesichts des halbrunden Schinkel- Jubiläums veranstaltete die Berliner Humboldt-Universität mit der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, der Nationalgalerie und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften das Kolloquium „Zwischen Neogotik und Klassizismus – Wege zu einer patriotischen Baukunst“. Ziel der Tagung war es, die seit Ende des 18. Jahrhunderts bedeutsame Frage, in welchem Stil man bauen solle, auf ihre politische Semantik hin zu befragen.

Auf die Euphorie der Französischen Revolution, für die Schinkel zu jung gewesen ist, folgt bald die Ernüchterung. 1806 geht das alte Heilige Römische Reich deutscher Nation endgültig unter. Spätestens die vernichtende Niederlage der Preußen bei Jena und Auerstedt im Oktober desselben Jahres bringt in Norddeutschland den emotionalen Umschwung gegen Napoleon. Der Friedensschluss von Tilsit 1807 ist für Preußen eine Schmach – gerade weil die beim Volk beliebte Königin Luise den Kaiser der Franzosen vergeblich um mildere Bedingungen gebeten hatte. Aus Demütigung und Depression heraus entwickeln politische Köpfe wie der Minister vom Stein, der Staatskanzler von Hardenberg und der General von Scharnhorst umfassende Reformen, die bis heute nachwirken, etwa in der kommunalen Selbstverwaltung. In diesen Aufbruch hinein wird Schinkel zum Staatsbeamten ernannt.

Von 1810 bis zu seinem Tod 1841 ist er als Mitglied der Ober-Bau-Deputation, der im Vorjahr neu formierten obersten preußischen Baubehörde, für ästhetische Beurteilung und – wenn nötig – Korrektur aller preußischen Staatshochbauten zuständig. Eine Art oberster Geschmacksrichter in Bausachen. Sein eigenes Œuvre als Architekt und Maler entsteht gewissermaßen nach Dienstschluss. Für Frau und Töchter dürfte kaum Zeit geblieben sein.

Die zwei Jahrzehnte zwischen 1803, als Schinkel erstmals nach Italien aufbricht, und 1822, als die Entwürfe für das Alte Museum entstehen, werden zur entscheidenden Phase seiner künstlerischen Entwicklung. Sie umschließen weltpolitische Ereignisse, auf die ein sensibler, gebildeter und auf öffentliche Wirkung bedachter Mensch wie er kaum gleichgültig reagieren konnte.

„Bilde, Künstler, rede nicht!“ hat Goethe seinen Kollegen ins Stammbuch geschrieben. In Sachen Architektur fand er zu einer ebenso eindeutigen Empfehlung. In seinem 1773 erschienenen Essay „Von deutscher Baukunst“ lobte Goethe das gotische Straßburger Münster als Musterbeispiel einer nationalen (!) Architektursprache. Schinkel zog aus der Empfehlung des Dichterfürsten, den er zeitlebens verehrte, seine Schlüsse. Wenn auch nur kurzzeitig: Mit seinen neogotischen Memorial- und Denkmalprojekten für die 1810 gestorbene Königin Luise und die Freiheitskriege 1813-15 hat sich Schinkel als bekennender Preuße, mit den zwischen 1813 und 1817 entstandenen Gemälden gotischer Dome als kritischer Visionär der Einheit von Volk und Monarch gezeigt.

Höhepunkt war der auf dem Leipziger Platz geplante Freiheitsdom, dessen vielgliedrige Gestalt Schinkel auf Planzeichnungen und Gemälden durchspielte. Der nüchterne Friedrich Wilhelm III. blies das gigantische Projekt schon vor dem offenen Beginn der Restaurationsära ab. Danach benutzte Schinkel gotische Formen nur noch in praktikableren Dimensionen. Die romantische Vorstellung einer Nation, die sich symbolisch in mittelalterlichen Formen ausdrückt, wich klassizistischen Bildungstempeln wie dem Schauspielhaus und dem Museum.

Begriffe wie Nation und Vaterland, das machte der Potsdamer Historiker Jörg Echternkamp eingangs der Tagung deutlich, konnten damals alles Mögliche meinen: die Heimatstadt, eine Region, einen Territorialstaat wie Preußen oder ein künftig geeintes Deutschland. An diesem durch Sprache und Kultur definierten Nationenbegriff der Aufklärung partizipierten in Deutschland allerdings nur fünf Prozent der Bevölkerung. Der Bildungsbürger Schinkel gehörte dazu.

Interessant hätte es sein können, den Vaterlandsbegriff der Patrioten an Provinzen zu überprüfen, die erst durch den Wiener Kongress zu anderen Staaten kamen. Etwa das vormals französische, ab 1815 preußische Rheinland, wo auch Schinkel als Architekt und Denkmalpfleger an einer staatlich geförderten Identitätsbildung durch Architektur teilhatte. Der Vortrag von Wolfgang Brönner, dem pensionierten Landeskonservator von Rheinland-Pfalz, bot dazu wenig Neues. Was auch für andere Beiträge galt: Der Hang zu Nebenthemen verstellt mehr und mehr den Blick auf eine einschüchternd komplexe Künstlerpersönlichkeit. Schinkel scheint uns, trotz Kranzniederlegung und Feierstunde am 13. März, einigermaßen fremd geworden zu sein.

Trotzdem bleibt er in Berlin allgegenwärtig. Wer dem patriotisch Entflammten – und damit dem intellektuellen Zuschnitt einer ganzen Generation – näher kommen möchte, muss hinauf auf den Kreuzberg, zu Schinkels gusseisernem Denkmal für die Freiheitskriege, oder ins zweite Obergeschoss der Alten Nationalgalerie, wo seine Gemälde gleich neben denen von Caspar David Friedrich hängen. Ein Aufstieg, der vieles klärt.

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