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"Storyboards von Hitchcock bis Spielberg": Die Skizzen zu den großen Filmen

Zwischen Film und Kunst: Das Berliner Filmmuseum stellt Storyboards aus. Mit ihnen werden filmische Täuschungen am Zeichentisch vorbereitet.

Karl Ritter, Regisseur von NS-Propagandafilmen wie „Stukas“ (1941), meldete sich in den letzten Kriegswochen zum Volkssturm. Dort tat er dasselbe wie vorher in den UFA-Studios: Er zeichnete Storyboards, mit dem Unterschied, dass es nicht mehr um Unterhaltung, sondern um Straßenkämpfe ging. Ob die Skizzen geholfen haben, darf bezweifelt werden. Abwegig war Ritters Gedanke jedoch nicht. Aufmarschpläne verlangen dieselbe Sorgfalt wie Drehpläne.

Ein militärisches Motiv ziert auch das Plakat zur Ausstellung „Zwischen Film und Kunst. Storyboards von Hitchcock bis Spielberg“, die im Juni in der Kunsthalle Emden eröffnet worden ist und jetzt mit zusätzlichen Exponaten in die Deutsche Kinemathek nach Berlin kommt. Das Plakat zeigt ein Dutzend Hubschrauber, die dazugehörige Sequenz aus „Apocalypse Now“ (1979) sieht man gleich beim Betreten des Museums, auf dem rechten von zwei Flachbildschirmen. Der linke zeigt das vorher angefertigte Storyboard, die handgezeichnete Übersetzung des Drehbuchs. Piloten kosten mehr als gewöhnliche Komparsen, ihre Auftritte muss man berechnen, und das heißt: zeichnen. Mit Hilfe von Storyboards lässt sich das Budget eines Films frühzeitig einschätzen, ohne sie hätte George Lucas niemals seinen „Krieg der Sterne“ (1977) finanziert bekommen.

Zu dem Thema hat Kristina Jaspers von der Kinemathek ihre Magisterarbeit verfasst, ohne auf eine reichhaltige Literatur zurückgreifen zu können. Die Lücke füllt sie gemeinsam mit Katharina Henkel: Beide haben die Ausstellung organisiert und das Begleitbuch herausgegeben. Der Begriff selbst stammt aus dem Hause Disney. Für „Die drei kleinen Schweinchen“ (1933) sind Zeichnungen an eine Korkwand gepinnt und hin- und hergeschoben worden, bis das Animationsteam sich auf die Reihenfolge der Bilder einigen konnte. Die Methode hat sich bewährt, und ein paar Jahre später entstand mit „Vom Winde verweht“ (1939) der erste komplett vorgezeichnete Realfilm.

Die Ausstellung ist Hollywood-lastig. Man vermisst Exponate von Sergej M. Eisenstein und Federico Fellini, die beide begnadete Zeichner waren. Ausgeglichen wird dieses Manko durch die hauseigenen Bestände. Ein Zeichenheft des Kameramanns Guido Seeber aus dem Jahr 1910 lässt sich als Vorgänger des Storyboards deuten. Marlene Dietrichs tollkühne Notlandung in dem Stummfilm „Das Schiff der verlorenen Menschen“ (1929) ist von Fritz Maurischat Einstellung für Einstellung vorgezeichnet worden. Die Besucher können einen Blick in das Arbeitsbuch der eingangs erwähnten Karl Ritter werfen. Der Mann wäre besser beim Illustrieren geblieben, er konnte außerordentlich gut zeichnen. Aber als Regisseur hat er mehr Geld verdient.

Berühmt werden kann man als Storyboarder kaum. Den Applaus kassieren die Regisseure und Kameramänner. Saul Bass, der den Mord unter der Dusche in Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960) und die Angriffe der „Vögel“ (1963) konzipierte, verdankt seinen hohen Bekanntheitsgrad seinen stilisierten Vorspannsequenzen, nicht den Storyboards. Ganz selten kommt es vor, dass ein Regisseur selbst den Stift in die Hand nimmt. Martin Scorsese ist solch ein Ausnahmetalent, und seine mit Bleistift und rotem Filzstift vorbereitete Schießerei in „Taxi Driver“ (1976) gehört zu den Höhepunkten der Ausstellung, die deshalb allerdings erst ab 16 Jahren zugelassen ist. Ein weiterer Grund sind vier Collagen von Paul McCarthy zum Motiv der „sieben Zwerge“. Sie enthalten pornografische Bilder, die Erwachsene nicht sofort wahrnehmen, da sie sich auf Kinderaugenhöhe befinden.

Es gibt Skeptiker, die sagen, ein Storyboard müsse nicht sein. Natürlich ist es reizvoll, „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1966) als hochwertigen Comic vorgeführt zu bekommen, aber war dieser Aufwand nötig bei einem Kammerspiel mit vier Personen? Was war da zu storyboarden? Einleuchtender sind die Vorbereitungen im Fall von „Spartacus“ (1960). Beim Ausbruch der Sklaven aus der Arena fällt jeder Zaun, gegen den sie treten, in die richtige Richtung. Das kann man nur am Zeichentisch konzipieren. Oder das gescheiterte Attentat auf Charles de Gaulle in dem Politthriller „Der Schakal“ (1973), wenn die Killer und ihre Komplizen sich gegenseitig Zeichen geben, als der Wagen des Präsidenten näher kommt. Solche Sequenzen mit häufigem Perspektivewechsel kann man nicht improvisieren, die muss man errechnen, das ist höhere Mathematik.

Für das Grußwort zur Ausstellungseröffnung konnte der freiberufliche Illustrator und Bühnenbildner Max Julian Otto gewonnen werden, der unmittelbar nach „Poll“ – das war der Film mit dem Haus auf Stelzen – eine weitere Herausforderung angenommen hat. In „Tom Sawyer“ möchte uns Hermine Huntgeburth weismachen, dass der Mississippi durch Neuruppin fließt. Solch eine Täuschung kann gelingen, aber man muss sie sorgfältig vorbereiten. Am Zeichentisch.

Deutsche Kinemathek, Potsdamer Str. 2, bis 27.11., Di-So 10-18, Do 10–20 Uhr.

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