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Straßenkunst: Youtube zum Tanzen

Das Dresdner Festival „streetculture@hellerau“ gibt internationalen Hip-Hop- und Streetart-Künstlern erstmals eine gemeinsame Bühne – die Stadt selbst.

Eben war es noch eine ganz normale Fußgängerzone, doch auf einmal sind sie da: Inmitten von Passanten, Radfahrern und pickenden Tauben haben drei Herren ihre selbstgebastelten Möbel und eine Espressomaschine aufgebaut, verwickeln überraschte Spaziergänger in philosophische Diskussionen oder bieten ihre Betten für ein Freiluft-Nickerchen an. Wem dies demnächst in Dresden widerfährt, der ist in das Streetart- und Hip-Hop-Festival „streetculture@hellerau“ gestolpert.

Das aus einem Architekten, einem Philosophen und einem Schauspieler bestehende Trio „boijeot.renauld.turon“ gehört zu insgesamt 90 Künstlern, welche die Barockstadt vom 22. Juni bis sechsten Juli in eine Kunst- und Experimentiermeile verwandeln werden. Das Besondere dabei: Das Festival rund um das Festspielhaus Hellerau wird neben 15 Performances und vier Konzerten im Spannungsfeld von Breakdance, Rap, Bildender Kunst, zeitgenössischem Tanz und Graffiti auch eine Ausstellung zehn renommierter Streetart-Künstler zeigen.

„In den vergangen Jahren hat es viele Streetart-Ausstellungen und Hip- Hop-Festivals gegeben, aber nie wurde beides zusammen gezeigt, obwohl es dieselben Wurzeln hat“, sagt Anna Bründl vom Europäischen Zentrum der Künste Dresden Hellerau, die streetculture@hellerau initiiert hat. Gefördert wird das etwa 450 000 Euro teure Festival von der Kulturstiftung des Bundes und der Ostdeutschen Sparkassen-Stiftung. Zu den Stars zählt der brasilianische Choreograph Bruno Beltrão, der das Tanzen auf der Straße gelernt hat und das Festival mit der Choreographie „CRACKz“ eröffnen wird: „Er hat mit seiner Tanzkompanie zwei Wochen lang ununterbrochen Youtube geschaut und aus Video-Schnipseln Bewegungen für ein heimatloses Stück kreiert“, sagt Programmleiterin Carmen Mehnert.

Die Verschmelzung von Medialem und Tanz wird sich auch bei dem Franko-Vietnamesen „Kaiju“ vollziehen, der seine Bewegungen in Echtzeit mit Infrarotkameras aufnehmen und als Doppelgänger auf die Bühne zurückprojizieren wird. Zu den musikalischen Highlights zählt der ägyptische Rapper Mohammed El Deeb, der während des arabischen Frühlings auf dem Tahrir-Platz in Kairo aufgetreten war. Dokumentiert wird das Festival von der Fotografen-Legende Martha Cooper, die Ende der 70er Jahre als Erste die Hip-Hop- und Graffiti-Kultur umfassend festgehalten hat und in der Ausstellung noch nie gezeigte Fotos aus dieser Zeit präsentieren wird.

Ebenfalls dabei ist das Pariser Graffiti-Urgestein „SKKI“ sowie Cody Hudson aus Chicago, der aus gefundenen Objekten Holz-Skulpturen baut. Die Ausstellung werde keine fertigen Kunstwerke zeigen, so Bründl: „Die Künstler erhalten große weiße Container, in denen sie Bilder aufhängen, die Wände bemalen oder Performances machen können.“ Das Festival passt perfekt zum Stadtteil Hellerau, denn die erste deutsche Gartenstadt mit dem Festspielhaus war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zentrum der europäischen Avantgarde, so Mehnert: „Daran wollen wir andocken, denn Streetart kann als eine Form zeitgenössischer Avantgarde betrachtet werden.“

Zudem ist Streetart längst in Dresden verankert: „Die Stadt hat eine der lebendigsten Graffitiszenen Deutschlands“, sagt Bründl. Tanz- und Graffiti-Performances werden teils spontan in der Innenstadt stattfinden, acht öffentliche Plakatwände, auf denen sonst Werbung prangt, werden den Künstlern als Leinwand dienen, ebenso zwischen Laternen und Bäumen gespannte Klarsichtfolien. „Es wird nicht alles angekündigt“, sagt Mehnert.

Bei der Errichtung von Hellerau 1909 hatte die Stadt die Architekten von allen Bauvorschriften befreit – ganz so unreglementiert wird es bei streetculture@hellerau nicht zugehen. Die Stadtverwaltung sei laut Bründl aber offen für das Projekt, Befürchtungen wegen Vandalismus habe es nicht gegeben. Doch man darf gespannt sein: Braves Kunsthandwerk würde dem Konzept von Streetart, die sich den öffentlichen Raum zurückerobert, schließlich widersprechen. „Wir haben uns viele Genehmigungen geholt, einige aber auch nicht“, sagt Mehnert.

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