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Protest vor der Oper. Demonstranten am Premienabend von "Der Tod von Klinghoffer" in New York.

© dpa

Streit an der New Yorker Met: Singende Terroristen: "Der Tod von Klinghoffer"

In der Oper „Der Tod von Klinghoffer“ an der New Yorker Met dürfen die Mörder eines Juden ihre Motive darstellen. Jetzt streitet die Stadt darüber: Wo fängt Antisemitismus an?

Montag, 18 Uhr, der Vorplatz der Metropolitan Opera in New York ist komplett verbarrikadiert. Strenge Sicherheitskontrolle am Eingang. Bullige NYPD-Beamte fragen, ob man ein Ticket hat. Hinter Absperrungen protestieren Hunderte von Demonstranten – sie finden die Produktion, die an diesem Abend auf dem Spielplan steht, „antisemitisch“. Wer heute in die Met gehe, verherrliche einen Judenmord. TV-Sender berichten live.

Es geht um die Oper „Der Tod von Klinghoffer“ von John Adams, die 1991 in Brüssel unter Regie von Peter Sellars uraufgeführt wurde, seitdem umstritten ist und vor allem bei Aufführungen in Amerika für Proteste sorgte. Jetzt spaltet sie New York in der Frage, wie weit die Freiheit der Kunst reicht. Adams vertont eine wahre Geschichte: die Entführung des Kreuzfahrtschiffs „Achille Lauro“ von 1985, bei der der 86-jährige, querschnittgelähmte jüdische Amerikaner Leon Klinghoffer von PLO-Terroristen erschossen und über Bord geworfen wurde.

Die Gemüter erhitzten sich von Anfang an wegen Adams’ Libretto, das den Terroristen Raum gibt, ihre Motive darzustellen. Sie singen über israelische Gewalt, tote Angehörige, Leid und Hunger und rechtfertigen ihre Tat mit dem Hinweis auf die katastrophale Situation in Palästina. Die Perspektivwechsel legen nahe, dass ein Frieden im Nahen Osten nur dann möglich ist, wenn beide Seiten für das Leid der anderen Empathie entwickeln. „Die Aufführung rationalisiert, romantisiert und legitimiert den Mord an unserem Vater,“ heißt es jetzt in einer Stellungnahme von Klinghoffers Töchtern.

Das American Jewish Committee in New York rief zum Boykott auf und zeigte sich beschämt, dass „Amerikas wichtigste Kulturinstitution jetzt ein Sprachrohr für Terroristen“ sei. Der britische Regisseur der Inszenierung, Tom Morris, hielt dagegen und bezeichnete die Polemiken als grotesk. Er bekam Rückendeckung von Peter Gelb: Der Direktor der Met wies alle Forderungen nach einer Absetzung zurück. Er ging jedoch einen Kompromiss ein, indem er die Live-Ausstrahlung ins Ausland strich, auch nach Deutschland. Komponist John Adams erklärte, dies sei das falsche Signal und ein Zugeständnis an jene, die die Freiheit der Kunst infrage stellten.

Immer wieder müssen die Darsteller pausieren

Auch politisch löste der Konflikt Streit aus. Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani schloss sich den Protesten an. Als Opernfan zeigte er zwar Verständnis für Peter Gelb, äußerte jedoch Entsetzen darüber, dass die Met der gewaltverherrlichenden Oper Raum gebe. Der aktuelle Bürgermeister Bill de Blasio konterte: „Als Amerikaner sollten wir das Recht auf freie Meinungsäußerung respektieren.“

Am Premierenabend setzt sich die Kontroverse fort. Die Angst scheint groß zu sein, dass Aktivisten die Bühne stürmen könnten, Sicherheitspersonal ist präsent. Die Premiere beginnt dennoch pünktlich, erst zwischen den Akten melden sich die Kritiker zu Wort. Sie schreien Parolen wie „Keine Vergebung für Klinghoffers Tod!“. Immer wieder müssen die Darsteller pausieren. Derweil reagiert der Großteil des Publikums mit Applaus, um die Störer zu übertönen.

Wer sich nüchtern mit der Oper auseinandersetzt, wird keine antisemitischen Anzeichen erkennen. Regisseur Tom Morris malt ein nuanciertes Bild, stellt die Gewalt der Terroristen schonungslos dar und präsentiert Klinghoffer als einen Mann, der den Mut hatte, trotz seiner Todesangst die Barbarei der Entführer anzuprangern. Er ist die einzige Figur, die eine komplexe Kontur besitzt. Der Bariton Alan Opie als Klinghoffer lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei seiner Figur um das Ergebnis ernsthafter Auseinandersetzung handelt – und nicht um eine Verballhornung, wie noch die Klinghoffer-Familie in einem Schreiben nach der Uraufführung von 1991 angemahnt hatte.

Dennoch: Der Stoff war von Anfang an nicht besonders geeignet für eine Vertonung, trotz packender Musik und dramaturgischer Dichte. Bis heute sind die Wunden frisch. Die Oper hat kein Aufklärungspotenzial, dazu fehlt es ihr an analytischer Schärfe. Und wer hätte kein Verständnis für die Angehörigen, die dabei zusehen müssen, wie ein persönliches Drama zu einem Theaterspektakel mutiert. Dennoch ist es gut, dass Peter Gelb zu seiner Entscheidung steht. Jetzt kann sich jeder New Yorker selber eine Meinung bilden.

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