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Hiergeblieben! Das Rad mit Füßen erinnert an Räuber und Gauner – und an Friedrich Schiller. Bert Neumann hat es entworfen.

© Jens Kalaene/dpa

Streit in der Volksbühne: Castorf-Mitarbeiter wollen Rad-Skulptur abbauen

Ein Berliner Wahrzeichen: Im Kampf um die Volksbühne wackelt jetzt auch die berühmte, einst von Bert Neumann entworfene Skulptur.

Da steht es. Rund und rostig, vier Meter hoch, festgewurzelt und doch so dynamisch. Stand es nicht schon immer vor der Volksbühne? Kann man sich den Rosa-Luxemburg-Platz ohne sein Wahrzeichen vorstellen – in einer Stadt, die sich sonst so schwertut mit Denkmälern und Skulpturen im öffentlichen Raum?

Das Rad mit Füßen betrat Mitte der neunziger Jahre die Berliner Bühne. Nun könnte das lieb gewordene Eisentier von der Bildfläche verschwinden. Müssen die Speichen weichen? An der Volksbühne, der das Rad entsprungen ist, übernimmt im Sommer Chris Dercon die Intendanz von Frank Castorf. Ein Neubeginn nach 25 Jahren Kultur- und Hauptstadtgeschichte. Die einen sind froh, dass sich einmal etwas verändert, die anderen lehnen den Wechsel wütend ab – als Verrat an Geist und Tradition der Volksbühne und des politischen Ensembletheaters.

Der bittere Streit ist noch nicht vorüber. Da wird am großen Rad gedreht. Die Überlegung, das Symbol der Castorf-Zeit abzubauen, stammt aber nicht etwa von Dercon, der mit seinem Planungsstab in einer Ladengalerie vis-à-vis der Volksbühne sitzt. Aus dem Büro des designierten Intendanten ist zu hören, dass er das Rad selbstverständlich an seinem Platz lassen möchte. Es gebe keinen Grund, dort etwas zu verändern. Bei allem Ungeschick, das man Dercon zutraut und das er gelegentlich an den Tag legt: Am Volksbühnen-Rad würde er sich nie vergreifen.

Die radikale Idee, so hört man, kommt vielmehr aus der Volksbühne selbst, der alten. Dahinter steckt der Gedanke: Den feindlichen Übernehmern darf man nicht die Insignien der Vergangenheit überlassen. Dercon soll sich nicht mit fremden Rädern schmücken. Eine weitere Frage ist: Was passiert mit dem Schriftzug Ost auf dem Theaterdach?

Muss das Rad jetzt neu erfunden werden?

Das Rad schmückt ja nicht nur Berlin-Mitte, sondern auch sämtliche Druckerzeugnisse und die berühmten Streichholzschachteln der Volksbühne. All das hat einst Bert Neumann erfunden, der Bühnenbildner und Chefdesigner des Theaters. Er starb im Juli 2015 plötzlich, mit nur 54 Jahren. Er und seine Frau Lenore Blievernicht schufen die Volksbühne mit dem Logo, wie wir sie kennen. Wie es sie bald nicht mehr geben wird.

Mit der Inszenierung der „Räuber“ von Schiller nahm Castorf 1991 im Sturm das Haus. Bald darauf war er Intendant und auf einem Himmelfahrtskommando. Die Volksbühne sei in „drei Jahren berühmt oder tot“, orakelte damals der Theatergutachter Ivan Nagel. Wie hat er sich geirrt: Daraus wurden 25 Jahre und Weltruhm! Das Räuberische sollte die Arbeit und die Mentalität bestimmen. Daher das LaufRad, ein stilisierter Räuber- oder Gaunerzinken, ein verschwörerischer Code. Achtung, hier sind üble Typen drin! Freibeuter! Anarchisten!

So sah sich die Castorf-Volksbühne gern. Als Bastion gegen Konsum, Gentrifizierung, Wildkapitalismus. In einem Interview mit dem Tagesspiegel sagte Bert Neumann, wenige Monate vor seinem Tod: „Zu unserem Kunstbegriff gehört, das reibungslose Funktionieren zu stören. Wir sind keine Dienstleister für störungsfreie Abendunterhaltung. Jetzt will man hier offenbar lieber Dienstleister, die genau wissen, was gerade in der Kunstwelt angesagt.“

Und nun? Muss das Rad neu erfunden werden? In der Verwaltung von Kultursenator Klaus Lederer, der Dercon mit Mühe toleriert, wird man an die Volksbühne verwiesen. Es sei deren Entscheidung, ob das Rad bleibt. Das ist jetzt ebenso ungeklärt wie die Frage, ob es Rechteinhaber am Rad gibt und ob diese Rechte möglicherweise bei Lenore Blievernicht liegen, die zuletzt noch für die Volksbühne gearbeitet hat. Dazu kann oder will niemand im Theater etwas sagen, jedenfalls im Moment nicht, und so steht das Rad da und man freut sich an ihm in diesen ersten Frühlingsbotentagen.

Glückliche Hunde toben um die Skulptur. Ein Lied von Bob Dylan kommt einem in den Sinn, „The times they are a-changing“. Da singt er von den Kritikern, die ihre Augen aufhalten sollen („Come writers and critics/Who prophesize with your pen/And keep your eyes wide/The chance won’t come again“). Sie sollten nicht zu schnell urteilen, denn das Rad drehe sich noch. Die Geschichte sei noch nicht entschieden („And don’t speak too soon/For the wheel’s still in spin/For the loser now will be later to win ...“).

Das Rad darf seinen Ort nicht wechseln. Es wäre ein Dementi der Geschichte. Das Räuberrad, finanziert durch Steuermittel, gehört der Allgemeinheit.

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