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Kultur: Streit um den Schmerzensmann

Die Wiener Albertina zeigt den Skandalkünstler Egon Schiele – und kämpft um ihren guten Ruf

Klaus Albrecht Schröder, der smarte Direktor der Wiener Albertina, ist not amused: „Wenn Sie mich fragen, ob ich mich noch einmal auf so etwas einlassen würde: nie wieder. Dann bleiben die Blätter eben unrestauriert im Archiv. Wir haben genug Werke, die wir zeigen können.“ Der Streit geht um fünf Schiele-Blätter, die Schröder auf eigene Faust in der Schweiz hatte restaurieren lassen. Dabei war Chloramin T, ein umstrittenes Bleichmittel, eingesetzt worden. Die Fachleute der Albertina hatten die Restaurierung zuvor abgelehnt. „Kein Haus hätte die Blätter in dieser ruinösen Form ausgestellt“, hält Schröder dagegen.

Ein hausinterner Streit über den richtigen Umgang mit beschädigten Werken? Eine Eigenmächtigkeit des ehrgeizigen Direktors? Oder das Dilemma eines Hauses, das seit der Wiedereröffnung vor zwei Jahren um seine Neupositionierung in der Wiener Museumslandschaft kämpft?

Schon einmal war die Albertina in die Schlagzeilen gekommen, als Schröder das wohl berühmteste Blatt des Hauses, Albrecht Dürers „Feldhase“, nach Madrid verlieh, obwohl das österreichische Denkmalamt die Ausfuhr verboten hatte. Die Schiele-Ausstellung, die nun in der Albertina zu sehen ist, war ursprünglich für die Royal Academy in London geplant. Auch hier untersagte das Denkmalamt die Ausfuhr der Blätter. Der Grund: Zuvor schon waren sie in diesem Jahr zur Schiele-Retrospektive nach Amsterdam verschickt worden, nun brauchten die fragilen Blätter Ruhe.

Die werden sie aber so schnell nicht finden. 300 000 Besucher sahen die niederländische SchieleAusstellung, auch in Wien rechnet man mit einem Besucheransturm. Schiele trifft wieder den Nerv der Zeit: Seit zwei Jahren erzielen seine Arbeiten auf Auktionen Spitzenerfolge. Parallel zur Wiener Ausstellung zeigt das Pariser Grand Palais „Wien um 1900“, und in der New Yorker Neuen Galerie werden die umfangreichen Schiele-Sammlungen von Ronald S. Lauder und Serge Sabarsky präsentiert. Und 2004 hatte die Wiener Sammlung Leopold mit den Landschaftsbildern das Augenmerk auf einen anderen, spannenden Aspekt gelenkt. Die Sammlung Leopold ist im Übrigen an der Albertina-Ausstellung nicht beteiligt – so viel zum Verhältnis der Wiener Museen untereinander.

Woher rührt der Schiele-Boom? Gerade das Theatralische an seinen Bildern, so die These des Albertina-Direktors und Kurators Schröder, die Selbstinszenierung als Schmerzensmann, Erlöser, Kranker, Triebtäter oder innerlich Zerrissener, sei in einer Zeit der Suche und des Spiels mit Rollen besonders aktuell. Die ausgemergelten Selbstporträts der frühen Jahre 1910 und 1911, der Künstler, der sich das untere Augenlid grotesk herunterzieht, der sein Geschlecht reibt und entblößt, die Haare zerstrubbelt, der Körper flammend rot: alles Berechnung, alles Rolle? Nicht die psychoanalytische Deutung, die Stilisierung des Künstlers zum Buhmann der Wiener Gesellschaft, will die Ausstellung illustrieren, sondern eine aufgeklärte Lesart. Und doch landet sie wieder beim Psychologischen.

Im April 1912 war Egon Schiele wegen Verdachts auf Kindesentführung und Kindesmissbrauch festgenommen worden und saß 24 Tage in Untersuchungshaft. 13 Zeichnungen hat er im Gefängnis von Neuengbach gemacht. Zehn davon zeigt die Albertina nun: karge Momentaufnahmen klaustrophobischer Enge, getragen von einer zunehmenden Panik. Der Gefängnisgang mit unordentlich in die Ecke gestapelten Besen und Eimern, Stühle mit Tüchern und Jacken darauf, ein Krug in der Ecke, das vergitterte Fenster mit karg belaubten Zweigen dahinter, das Gefängnisbett mit einer leuchtenden Orange als einzigem Lichtblick. Und dann, als letzte Blätter, drei Selbstbildnisse: der Künstler auf der Pritsche, unter Gefängnisdecken kauernd, in die Ecke gedrückt. Das Gesicht ausgemergelt, skelettös, die Hand in die Decke gekrampft. Und das ganze um 90 Grad gedreht, der Liegende aufgerichtet zur Monumentalgestalt. Theater? Rolle? Inszenierung?

Noch offensichtlicher ist das Inszenierte der erotischen Blätter. Das, was Schiele jahrzehntelang zum Skandalkünstler machte, was – so Schröder – in den USA noch heute zu erregten Diskussionen führt, wird in der Albertina kühl analysiert. Die lesbischen Akte – sind es wirklich zwei Frauen? Ist es nicht eine lebensgroße Puppe, willfährig, kraftlos, die die eine der Frauen in den Armen hält? Eine Kniende, die Arme verlangend ausgestreckt – sehnt sie sich nach einer anderen Frau, die sie einst umfing?

Selbst die expliziten Bilder, die junge Frau, die sich selbst befriedigt, der Mann mit rot erigiertem Glied: Der Skandal, wenn überhaupt, entsteht laut Schröder erst im Moment des Darüber-Sprechens, nicht mit dem Zeigen. Einzig die Kinderporträts, jene pubertierenden Knabenkörper und schmalen, träumerischen Mädchenfiguren, rühren noch heute an ein Tabu. Wie frei waren die Wiener und Krumauer Arbeiter- und Bauernkinder, die sich mit Posieren ihr Zubrot verdienten? Wie frei blicken wir heute auf ihre Sexualität? „Das ist“, so Schröder, „mindestens so sehr ein Problem unserer Zeit wie des Wiens der Jahrhundertwende.“

Was den Theateraspekt noch unterstützt: Schiele malte in Sequenzen. Mehrere Blätter, die während einer Sitzung entstanden – der Künstler zeichnete schnell –, fast cineastische Gruppen, ein Modell, das sich Blatt für Blatt weiter entkleidet, ein regelrechter Striptease. Zum eigenständigen Kunstwerk ist die Zeichnung erst später geworden, im Nachhinein, als Schiele die einzelnen Blätter bearbeitete, frei kolorierte. Der Albertina-Direktor weigert sich deshalb auch, von Zeichnungen zu sprechen: Bilder auf Papier, lautet sein Terminus. Im Übrigen könnte der Begriff Zeichnungen oder Grafiken auf das große Publikum ja abschreckend wirken. Und Besucher will man bei der Albertina auf keinen Fall verschrecken.

Wien, Albertina, bis 19. März. Katalog im Prestel Verlag, in der Ausstellung 29 €.

Christina Tilmann

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