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Ai Weiwei, 57, erhielt kürzlich seinen Pass zurück und kam mit seinem Sohn und seiner Lebensgefährtin vor zehn Tagen nach Berlin.

© Reuters

Streit um "Zeit"-Interview: Die fehlenden Worte des Ai Weiwei

Der chinesische Künstler wirft der „Zeit“ vor, das Interview mit ihm sinnentstellend gekürzt zu haben. Die "Zeit" weist die Vorwürfe entschieden zurück, während in den sozialen Netzwerken eine heftige Auseinandersetzung um den Regimekritiker entbrannt ist, der sich zurzeit in Berlin aufhält.

Streit um Ai Weiwei, das hatte bisher mit den Schikanen des chinesischen Regimes zu tun, damit, dass er verhaftet, drangsaliert wurde, nicht reisen durfte. Nun gibt es neuen Streit um den Künstler und Regimekritiker, der sich seit zehn Tagen mit seiner Familie in Berlin aufhält. Diesmal geht es um die Medien: Ai Weiwei wirft der „Zeit“ vor, mit seinen Worten nicht redlich umgegangen zu sein – die „Zeit“ weist die Vorwürfe gegen das am Donnerstag veröffentlichte Interview zurück.

Von den zahlreichen Interviews, die der 57-Jährige in den letzten Tagen führte, ist das „Zeit“-Gespräch das kontroverseste. Geführt haben es, auf Chinesisch, „Zeit“-Redakteurin Angela Köckritz sowie Zhang Miao, Mitarbeiterin des Wochenblatts, die bis Juli neun Monate in China in Haft saß. Seitdem ist ihr Anwalt Zhou Shifeng spurlos verschwunden. Ai Weiwei sagt im Interview, anders als 2011, als er selbst verschleppt wurde, gebe es geheimes Verschwindenlassen heute „vielleicht noch an ein paar abgelegenen Orten, in Peking wird man es nicht erleben“. Erneut auf Zhou Shifengs Verschwinden angesprochen, fügt er jedoch hinzu: „Also verwenden sie immer noch die gleiche Strategie“. Auf die Bemerkung der beiden, „Es gibt Leute, die sagen, das sei nicht der alte Ai Weiwei“, reagiert der Künstler erbost. Das gedruckte Gespräch endet mit den Sätzen: „Ihr könnt gehen, und ich trinke Tee, denn ihr habt ja offenbar nichts Wichtiges, über das ihr reden wollt“.

Bereits am Donnerstag hatte Ai Weiwei auf seinem Twitter-Account geschrieben, die deutsche Übersetzung des Interviews weiche von der ihm zur Autorisierung vorgelegten chinesischen Abschrift ab, mit der Absicht, den Inhalt zu verändern. Dies verletze journalistische Prinzipien. „Zeit online“ veröffentlichte daraufhin die chinesische, englische und deutsche Version des Gesprächs. In der Diskussion, die daraufhin auf Twitter geführt wurde, heißt es in den englischsprachigen Tweets überwiegend, die Übersetzung weiche nicht vom Original ab. Auf Chinesisch hatte Ai Weiwei auch getwittert, es sei sinnentstellend gekürzt worden.

Am Samstag legte er noch einmal nach und erhob nun auch auf Englisch den Vorwurf der „erheblichen Kürzung und dramatischen Veränderung von Charakter und Inhalt“ des Gesprächs. Mehr als ein Viertel sei gestrichen, auch sei das Hauptfoto der Seite, auf dem Ai Weiwei sich die Augen reibt, nicht im Zusammenhang mit dem Titel-Zitat „Kein Grund zu weinen“ entstanden.

„Zeit“-Redakteurin Angela Köckritz ist inzwischen ebenfalls ungehalten. Es gebe keine Entstellungen, keine aus dem Zusammenhang gerissenen Sätze. Ai Weiwei und seine Presse-Assistentin seien darüber informiert worden, dass das Interview gekürzt werde. Dagegen habe es keine Einwände gegeben, auch sei nicht um Vorlage der Druckfassung gebeten worden. Die Redaktion schickte der Assistentin außerdem schon am Mittwoch vor Erscheinen der „Zeit“ ein PDF der Seite zu, auch darauf gab es keine Reaktion.

„Wir sind gerne bereit,“ so Köckritz gegenüber dem Tagesspiegel, „die Fassung, wie sie Ai Weiwei vorgelegt wurde, mit seinen Autorisierungswünschen zu veröffentlichen“. Darüber werden Anfang der Woche wohl Anwälte verhandeln.

Nun ist es durchaus üblich, dass autorisierte Interviews für die Druckfassung nochmals gekürzt werden. Warum Ai Weiwei die Langfassung, die ihm ja vorliegt, nicht seinerseits einfach online gestellt hat, ist unklar. Hintergrund der Kontroverse ist aber offenbar der Unmut, den der Künstler in den sozialen Netzwerken bereits in der Vorwoche mit seinem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ ausgelöst hatte. Kritiker warfen ihm einen Kurswechsel vor, er zeige mehr Verständnis für das chinesische Regime. Es ist nicht leicht, die Tonart auszumachen, in der der nach wie Mor gefährdete Künstler über China spricht: mal klingt es versöhnlich, mal sarkastisch, mal verständlicherweise vorsichtig, mal ungebrochen scharf und wütend. Aber dass er auf Instagram das (von ihm sehr unvorteilhaft fotografierte) Bild Zhang Miaos mit dem Satz kommentiert, diese Frau sei eine menschliche und professionelle Enttäuschung, und die sexistischen Anmerkungen seiner Follower unkommentiert lässt, erschreckt einen dann doch: Ai Weiwei, ein Macho?

Nachtrag: Die "Zeit" und der Tagesspiegel gehören zur Dieter von Holtzbrinck Medien GmbH. Giovanni Di Lorenzo ist Chefredakteur der "Zeit" und Herausgeber des Tagesspiegels.

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