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Links, feministisch, jüdisch. Judith Butler.

© S. Töpper / FU

Streit und Judith Butler: Boykott gegen Boykott

Wie hältst du's mit Israel? Warum der Zentralrat der Juden gegen den Adorno-Preis für Judith Butler protestiert.

Von Caroline Fetscher

Alle drei Jahre wird der Adorno-Preis an Intellektuelle und Künstler verliehen, die sich im Sinne der Kritischen Theorie um gesellschaftlichen Fortschritt verdient machen. Erster Preisträger war 1977 Norbert Elias, es folgten unter anderem Jacques Derrida, Jürgen Habermas, Pierre Boulez, Jean-Luc Godard. Die Ehrung ist mit 50 000 Euro dotiert.

Als einer „maßgeblichen Denkerin“ der Gegenwart soll dieser Preis der Stadt Frankfurt am 11. September in der Paulskirche an Judith Butler verliehen werden, international anerkannte Professorin der kalifornischen Universität Berkeley. Butlers Werke analysieren unter anderem die Rolle von Sprache und Sprechakten beim Herstellen gesellschaftlicher Konzepte wie „Geschlecht“ oder „Kultur“. Gerichtet gegen biologistische Diskurse kommen Butlers komplexe Texte häufig zu originellen theoretischen Schlüssen, die auch viele Kritiker zur Auseinandersetzung anregen.

Neben ausgesprochenen Fans und wohlwollenden Kritikern wie Slavoj Zizek hat die Philosophin erbitterte Gegner, besonders wenn sie, linksliberal, lesbisch, jüdisch, sich auf tagespolitisches Terrain begibt, und bei Podiumsdiskussionen oder in Interviews gängige „antikoloniale“ Campus-Ideologie mit Thesen zu Israels Lage und Politik vertritt, die der Realität kaum standhalten. All dies rief anlässlich des Adorno-Preises unlängst die Berliner Zeitschrift „Jungle World“ auf den Plan, nun auch die „Jerusalem Post“ und den Sekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer. Da solle eine „bekennende Israel-Hasserin“ geehrt werden, klagt Kramer, man könne doch Butlers Philosophie nicht einfach von ihrer „moralischen Verderbtheit“ trennen.

In einer Stellungnahme auf der Website mondoweiss.net, die dem „Krieg der Ideen“ im Mittleren Osten gewidmet ist, und vor allem progressive Juden ansprechen will, wehrt sich Butler jetzt gegen die Anwürfe ihrer Gegner. Ihr gehe es, schreibt sie, „um ein Judentum, das nicht mit staatlicher Gewalt assoziiert ist“, sie habe unter anderem bei einem Rabbi in Cleveland Ohio und an der Universität Yale eine Ausbildung im Geist jüdischer Ethik absolviert und sehe sich in der Tradition von Martin Buber und Hannah Arendt.

Stets gehe es darum, auf menschliches Leid zu reagieren und es zu lindern, soziale Gerechtigkeit herzustellen, die „Welt zu reparieren“ – ein Konzept jüdischer Philosophie. „Skurril und unbegründet“, wehrt sich Butler, sei die Unterstellung, sie sei antisemitisch oder unterstütze Hisbollah und Hamas. Tatsächlich habe sie die Terrororganisationen einmal „rein deskriptiv“ der „globalen Linken“ zugeordnet, dies aber durch ihre Ablehnung von Gewalt deutlich relativiert, eine Haltung, für die sie von Teilen der Linken verlacht werde.

„Teilweise wahr“ sei es hingegen, räumt Butler ein, dass sie sich für die „BDS“-Kampagne gegen Israel engagiere. Und das ist der springende Punkt. BDS steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“, und die Kampagne hinter dem Akronym propagiert unter anderem den Konsumboykott, einen kulturellen Boykott von Israel sowie das Abziehen von Investitionen aus dem bedrohten Land. Hinter „BDS“ steckt ein Sammelbecken israelkritischer bis israelfeindlicher „Palästina-Solidarität“, Gruppen, die seit 2005 mit Parolen wie „Boykottiert Apartheid Made in Israel“ Öffentlichkeit suchen. Wer keine Orangen aus Israel kauft oder Orchester aus Israel gar nicht erst einlädt, suggerieren die Campaigner, der werde die Situation der Palästinenser in Gaza und Westjordanland verbessern. Auch ohne die Motivation dieser in ihrem Menschenrechtsimpetus auf Palästinenser fixierten Kampagne hier näher zu analysieren, fragt sich, was damit bewirkt werden könnte, solange Palästinenser in ihrer Rolle als Geiseln arabischer und iranischer Nachbarn dafür herhalten, Israel, und im Zweifelsfall „die Juden“, zum Sündenbock der konfliktreichen Lage im Nahen und Mittleren Osten zu erklären. Butler müht sich um Differenzierung ihrer Position. Für sie bedeute die BDS-Kampagne etwa die Weigerung, bestimmte militärische Güter nach Israel zu exportieren. Auch trete sie nie vor israelischen Institutionen auf, die sich „nicht eindeutig gegen die Besetzung“ stellen. Israelische Staatsangehörige per se diskriminiere sie persönlich aber nicht.

„Unwahr, absurd und schmerzhaft“ sei es, erklärt Butler, wegen der Kritik an Israel als Antisemitin „dämonisiert“ zu werden, das sei die Taktik derer, die jemanden zum Schweigen bringen wollen. Denn nun wollen einige Gegner Judith Butler zur boykottierten Boykotteurin machen – kein Preis, keine Ehrung, keine Rede für diese Denkerin. Ihr Ansinnen ist emotional verständlich, politisch aber ähnlich verfehlt wie der exkludierende Ansatz der bizarren „BDS“-Kampagne. Angemessen und debattenfreudig geht hingegen das Jüdische Museum in Berlin vor, das Judith Butler und den Historiker Micha Brumlik für den 15. September auf ein Podium mit dem Titel „Gehört der Zionismus zum Judentum? Eine Standortbestimmung zum 21. Jahrhundert“ einlädt. Das Publikum solle sich, lässt das Museum wissen, seine eigene Meinung zu Butler bilden können. Der Saal dürfte rappelvoll werden, und mit der Berliner Lokalgröße Klaus Wowereit kann man sagen: Und das ist auch gut so. Caroline Fetscher

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