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Kultur: Stricher, Junkies, Pornostars

Ein Streifzug durch die queeren Filme im PANORAMA

Die Organisation Gay Homeland Foundation fordert nach dem Vorbild Israels einen eigenen Staat für Schwule und Lesben. Derartige Pläne werden belächelt, sofern sie überhaupt Beachtung finden. Um als Ausgegrenzter selbst einmal ausgrenzen zu können, benötigt man keinen Staat – ein Stadtviertel tut es auch. In seinem Dokumentarfilm „We Were Here“ über San Francisco beschwört David Weissman eine Welt, in der Schwule und Lesben ganz unter sich bleiben. Er wiederholt die bekannten Geschichten von 1969 bis zur Gegenwart: erste Protestaktionen gegen die homophobe Polizei, das erstarkte Selbstbewusstsein, die Zuwanderung von Schwulen und Lesben aus anderen Teilen der USA. Dann die Rückschläge: die Ermordung des ersten offen schwulen Stadtrats Harvey Milk, die Dezimierung der Community durch Aids.

Weissman bietet auf den ersten Blick nichts Neues, sein Film ist einfach nur materialreicher und sauberer strukturiert als seine Vorgänger. Bei näherem Hinsehen fällt der konsequente Separatismus auf, den Weissman betreibt. Er verschweigt die Anerkennung von Harvey Milk durch die heterosexuelle Bevölkerung, und dass dem Attentat nicht nur er, sondern auch der heterosexuelle Bürgermeister George Moscone zum Opfer gefallen ist. Auch haben sich, wenn es nach dem Film geht, nur lesbische Krankenschwestern um Männer mit Aids gekümmert und sogar ihr eigenes Blut gespendet. „Wir sind geprüft worden wie keine Gemeinschaft vorher“, behauptet einer der Interviewpartner, und so radikal abgemagerte Körper habe man seit der Befreiung der KZs nicht mehr gesehen. Die Zeitzeugen scheinen noch nie vom Hunger in der Dritten Welt gehört zu haben. Das Leben außerhalb ihres Viertels ist für sie irrelevant. Nicht einmal New York zählt. Und das Gedenken gilt nicht allen Aids-Opfern: Pornodarsteller, Stricher und Junkies sind von der Anteilnahme ausgeschlossen.

Von einer kurzen Phase als Aids-Aktivist abgesehen, hat der Kanadier Bruce LaBruce sich nie von einer Bewegung vereinnahmen lassen. Der Larmoyanz, die Weissmans Film durchzieht, setzt LaBruce seine Lust an der Provokation entgegen. Angélique Bosios Porträt „The Advocate for Fagdom“ erklärt seine Bereitschaft, nach allen Seiten auszuteilen, mit seiner Herkunft aus der Punk-Bewegung. Dort gab es homophobe Tendenzen; Schwule wiederum konnten und können nach wie vor meist wenig mit Punk anfangen. LaBruce beschloss daraufhin, beide Kulturen zu unterwandern. Er ist vor allem als Regisseur experimenteller, gesellschaftskritischer Pornos bekannt („The Raspberry Reich“, „Skin Flick“), verfasst aber auch Essays für seriöse Filmzeitschriften, in denen er den bei Schwulen verhassten Thriller „Cruising“ verteidigt. Regiekollegen aus der Subkultur, die es in den Mainstream geschafft haben wie Gus Van Sant und John Waters, bewundert er, statt ihren Weg nach oben zu verurteilen.

Ein Film über die ersten schwul-lesbischen Demonstrationen in Riga weckt keine hohen Erwartungen. Die Forderungen der Aktivisten und die Argumente ihrer Gegner gleichen sich in aller Welt. Wie solche Demos in Moskau verlaufen sind, wissen wir. Warum sollte es in Riga anders sein? Erstaunlicherweise gelingt es Kaspars Goba trotz bescheidener Mittel, mit „homo@lv“ allgemeingültige Themen anzusprechen. Für ihn gibt es kein richtig oder falsch, kein für uns oder gegen uns. Er porträtiert alle Seiten fair und sachlich. Sowohl bei den schwul-lesbischen Aktivisten als auch bei ihren Gegnern gibt es einen radikalen und einen gemäßigten Flügel. Es ist ein großer Teil der Bevölkerung, und keine totalitäre Regierung, die den Gay Pride ablehnt. Dass er viele Fragen unbeantwortet lässt, ist die Stärke des Films. Goba hat erkannt, dass es für die Intoleranz keine einfache Erklärung gibt.

Die schlichte Machart wird bei „homo@lv“ durch das Gezeigte ausgeglichen. Bei „House of Shame / Chantal All Night Long“ fehlt solch ein Ausgleich. Die glamouröse Berliner Kiezgröße, die lange auf den Transenstrich gegangen ist und seit zehn Jahren jeden Donnerstag eine Queer-Party mit Liveshows veranstaltet, wurde von Johanna Jackie Baier einfach nur abgefilmt, zu Hause und in ihrem Etablissement. Es ist ein Werk aus dem Kiez für den Kiez, mit viel Klatsch, den Außenstehende nicht verstehen können, und ohne emotionale Tiefe. Wie viele Menschen, die durch eine harte Schule gegangen sind, gibt Chantal wenig von sich preis. Es fehlen Hintergrundinformationen, vor allem zum Thema Transenstrich. „House of Shame“ macht neugierig, ist aber nicht mehr als ein Exposé. Frank Noack

„We Were Here“, „homo@lv“, „The Advocate of Fagdom“ und „House of Shame“

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