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Sadra Fayyaz aus dem Iran (links), Shira Majoni aus Israel und Dekan Mena Mark Hanna im Treppenhaus der Akademie.

©  Thilo Rückeis

Studieren an der Barenboim-Said Akademie: Identität und Intimität

Musik und ihr Platz in der Welt: Die Studierenden der Akademie lernen weit mehr als ihr Instrument.

Shira Majoni und Sadra Fayyaz kommen aus Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Shira stammt aus Israel und Sadra aus dem Iran. Auf der großen politischen Bühne sind sich diese Staaten spinnefeind. Doch die beiden Studierenden der Barenboim-Said Akademie machen in Berlin gemeinsam Musik – und sitzen beim Gespräch in der Cafeteria der Akademie einträchtig beieinander.

Shira Majoni wurde in Florenz geboren und ging mit zwölf Jahren mit ihren Eltern nach Israel. Später diente sie zwei Jahre in der Armee und begann dann ein Musikstudium. Ihren Bachelor machte sie in Israel, den Master in Boston. Nun ist sie 28 Jahre alt und absolviert an der Akademie ihr Artists Diploma, ein Studium für fortgeschrittene Musiker. „Ich habe Daniel Barenboim mit dem West-Eastern-Divan Orchestra in Salzburg getroffen, wo ich mit meiner Masterclass unterwegs war“, erzählt die Bratschistin begeistert. „Ich habe vorgespielt und mit drei Ausnahmen alle Workshops des Orchesters mitgemacht.“

Sadra Fayyaz aus Teheran begann mit elf Jahren Bratsche zu spielen. Als 15-Jähriger ging er nach Frankreich an ein Konservatorium. „Mein Vater sagte zu mir: ,Wenn du Musik studieren willst, musst du gehen’. Wir haben zwar Musikschulen in Teheran, aber nicht auf diesem Niveau“, erzählt Fayyaz. Er habe sich VHS-Kassetten von Pinchas Zukerman besorgt, dem israelischen Violinisten. „Die habe ich mir immer wieder angeschaut, denn klassische Konzerte konnte ich in Iran nicht besuchen. Ein klassisches Live-Konzert ist ein Traum für jeden Iraner!“

"Die Idee ist doch, die Kultur weiterzuentwickeln"

Mit 17 Jahren spielte Sadra Fayyaz in Spanien in einem Orchester und nahm an Workshops teil; so kam er mit dem West-Eastern-Divan-Orchestra in Kontakt. „Vor zwei Jahren habe ich mich dann dort beworben. Damals wusste ich noch nichts von der Akademie.“ Doch zunächst ging der junge Mann nach Lübeck, um dort sein Studium fortzusetzen – und erfuhr zugleich von dem Berliner Programm. Da er ohnehin auch Geschichte und Philosophie studieren wollte, war es für Fayyaz eine Sache von einer halben Stunde, sich für die Akademie zu entscheiden. „Mich hat die Idee des Mixes und der Verbindungen gereizt“, erzählt er.

Shira Majoni aus Israel, Studentin der Barenboim Said Akademie: „Du triffst hier all diese Charaktere, die anders sind, aber auch wieder ähnlich. Die Menschen sind sehr warm, es ist sehr intim, das alles schafft die Akademie."
Shira Majoni aus Israel, Studentin der Barenboim Said Akademie: „Du triffst hier all diese Charaktere, die anders sind, aber auch wieder ähnlich. Die Menschen sind sehr warm, es ist sehr intim, das alles schafft die Akademie."

© Thilo Rückeis

Für Shira Majoni war es sehr wichtig, dass hier Menschen aus ihrer Region studieren. „Die Idee ist doch, die Kultur weiterzuentwickeln“, sagt sie. „Du triffst hier all diese Charaktere, die anders sind, aber auch wieder ähnlich. Die Menschen sind sehr warm, es ist sehr intim, das alles schafft die Akademie. Man findet leicht Freunde, und jeder hat eine interessante Geschichte.“

80 Prozent der Studierenden stammen aus dem Nahen Osten und Nordafrika, 20 Prozent aus dem Rest der Welt. „Wenn wir nur Studierende aus dem Nahen Osten hätten, würde das ,dritte Element’ fehlen“, sagt Mena Mark Hanna, Dekan der Barenboim-Said Akademie und Professor für Musikwissenschaft. Die Region müsse in Relation zum Westen gesehen werden. „Es ist wichtig, dass die Studierenden darauf reagieren können – als Teil der Welt.“

Der Begriff "Naher Osten" ist kolonial

Die Wahrnehmung der Region in den Medien ist für ihn, der ägyptische Wurzeln hat, eine Herausforderung. „Sie wird oft als kriegerisch und gewalttätig beschrieben.“ Auch Edward Said habe in seinem Buch ,Covering Islam’ derartige Zuschreibungen als orientalistische Sprache des 19. Jahrhunderts kritisiert. Damals habe man noch Adjektive wie „gottlos“, „stagnierend“ oder „barbarisch“ benutzt. „Das haben dann wieder europäische Länder zur Legitimation ihres Imperialismus genutzt. Heute sehen wir eine Verlängerung dieser Sprache – „Gewalt“, „Konflikt“, „Terror“. Das kann als Argument für weitere imperialistische Aktionen dienen, siehe Bush im zweiten Irak-Krieg“, sagt Hanna. Dies alles müssten die Studenten der Akademie verstehen.

„Selbst der Begriff ,Naher Osten’ ist kolonial. In der Region gibt es unterschiedliche Bezeichnung z.B. ,Osten des Mittelmeeres’ – aber das sehe ich als Ägypter natürlich anders. Und der englische Begriff ,Middle East’ markiert den halben Weg zwischen Großbritannien und Indien; auch der ist kolonial.“ Das alles seien keine einfachen Begriffe, daher sei es für die Akademie wichtig, dass die Studierenden sie verstehen. „Das ist eine Herausforderung“, weiß Hanna, denn diese sähen sich in erster Linie als Musiker.

Das bestätigen auch Shira Majoni und Sadra Fayyaz. „Beispielsweise nennen sich viele Studierende Araber, die Ägypter auch manchmal Ägypter", sagt Dekan Hanna. „Es gab früher kein Syrien und keinen Libanon, das waren Stammesgesellschaften. Aber Ägypten sieht sich als Erbe eines hegemonialen Reiches. Diese Fragen der Identität sind uns wichtig.“

Die Studentenkonzerte sind ein Höhepunkt für alle

So wird es im April ein ganzes Festival zu Edward Saids Schrift „The Late Style“ geben, bei dem sich die jungen Musiker zu späten Kompositionen von Beethoven, Schubert und Mozart äußern sollen. „Die Studenten sollen begreifen, was Identität ist. Das können wir durch Musik verstehen“, ist Hanna überzeugt und gibt ein weiteres Beispiel aus seinem Unterricht: „Wir haben uns im Sommersemester mit Schönbergs Harmonielehre beschäftigt. Er benutzt dabei eine merkwürdige intellektuelle Sprache seiner Zeit, herrührend aus Otto Weiningers ,Geschlecht und Charakter’. Die Studierenden müssen verstehen, warum er das tut. Kommt das in seiner Musik vor? Er war zu dieser Zeit sehr jung und hatte ein Bedürfnis nach intellektueller Anerkennung.“

Mena Mark Hanna, Dekan der Barenboim Said Akademie: „Es war toll, die Studenten bei ihrem ersten Konzert in diesem Saal zu erleben. Nachdem alle Fragen im Unterricht geklärt waren, wirkten sie im Konzert wie befreit.“
Mena Mark Hanna, Dekan der Barenboim Said Akademie: „Es war toll, die Studenten bei ihrem ersten Konzert in diesem Saal zu erleben. Nachdem alle Fragen im Unterricht geklärt waren, wirkten sie im Konzert wie befreit.“

© Thilo Rückeis

Ein Höhepunkt des ersten akademischen Jahres waren für Hanna die Studentenkonzerte im Pierre Boulez Saal. „Es war toll, die Studenten bei ihrem ersten Konzert in diesem Saal zu erleben. Nachdem alle Fragen im Unterricht geklärt waren, wirkten sie im Konzert wie befreit.“ Das vermag Musik zu leisten.

Auch Sadra Fayyaz spielt gerne in dem Saal: „Er ist sehr intim, man hat keinen Stress. In einem großen Saal ist alles dunkel, und man sieht nichts.“ „Man muss sich daran gewöhnen, dass alle um einen herumsitzen“, ergänzt Shira Majoni, „aber es ist einfach großartig.“ Wunderbar finden beide auch, dass sie Zugang zu allen Konzerten haben. „Das ist wie ein konstantes Festival“, sagt Fayyaz. „Da entdecke ich ganz nebenbei, das Zubin Mehta Persisch spricht. Und stellen Sie sich vor, ich treffe hier Daniel Barenboim – das ist wie im Film!“, freut sich der junge Mann.

"Wir sind junge Menschen und wollen uns vernetzen"

Ein Höhepunkt für beide ist der Unterricht in Geschichte und Philosophie bei Roni Mann. „Roni ist wunderbar, und sie hat es geschafft, uns in fünf Monaten die Geschichte und Philosophie Europas beizubringen“, begeistert sich Fayyaz und Shira Majoni stimmt ihm zu. Sie findet es auch gut, dass 20 Prozent der Studierenden aus anderen Ecken der Welt kommen. „Sie sind sehr neugierig, wie wir auftreten, und so bekommen sie Informationen aus erster Hand.“

Sadra Fayyaz, Student der Barenboim Said Akademie aus Iran: „Roni ist wunderbar, und sie hat es geschafft, uns in fünf Monaten die Geschichte und Philosophie Europas beizubringen“
Sadra Fayyaz, Student der Barenboim Said Akademie aus Iran: „Roni ist wunderbar, und sie hat es geschafft, uns in fünf Monaten die Geschichte und Philosophie Europas beizubringen“

© Thilo Rückeis

Die junge Israelin träumt von einer Orchesterstelle, möchte aber gerne auch unterrichten, das sei variantenreicher. Sadra Fayyaz wünscht sich eine halbe Stelle in einem Orchester, um nebenher zu studieren und zu schreiben – am liebsten Romane. „,Shira’ heißt Poesie“, sagt Shira lachend, „aber meine Gedichte sind für die Schublade.“ Zur politischen Situation in der Region meint sie: „Wir kommen alle aus kritischen Gebieten. Aber wir sind junge Menschen und wollen uns vernetzen, uns weiterentwickeln.“ Ja, es gebe politische Diskussionen, aber im Grunde seien sie doch vor allem eines: „ganz normale Studenten“.

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