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Kultur: Stücke, Stücke, Stücke - Maja Zade sucht Texte und lockt Autoren

Die neue Schaubühne (Eröffnung am 22. Januar) wird nicht nur von der künstlerischen Direktion erfunden, von Sasha Waltz und Thomas Ostermeier.

Die neue Schaubühne (Eröffnung am 22. Januar) wird nicht nur von der künstlerischen Direktion erfunden, von Sasha Waltz und Thomas Ostermeier. Die neue Schaubühne beginnt im Kopf, auf den Schreibtischen der Dramaturgen und Autoren. Wir stellen die neuen Köpfe in den nächsten Wochen vor.

Noch sieht alles ordentlich aus im kleinen Lektoratszimmer der Schaubühne: Der Schreibtisch aufgeräumt, die Manuskripte sorgsam geordnet im Regal, in Fächern von A bis Z. Auf dem Bildschirm flimmert das Protokoll der Dramaturgie-Sitzung vom Vortag, auf dem Gang feiert jemand Geburtstag, das Telefon klingelt selten. Dass dieses eine Regal bald nicht mehr ausreichen möge für die Stapel eingesandter Manuskripte, dass das Telefon nicht mehr stillsteht vor Anrufen interessierter Autoren, dass die Tische überquellen vor Post, all das wünscht sich Maja Zade, senior reader im Dramaturgen-Team der neuen Schaubühne.

Zurückhaltend, abwartend, ein wenig fremd sitzt die blasse, blonde Frau an ihrem neuen Schreibtisch. Erst vor einem halben Jahr ist sie von London nach Berlin gezogen, seit Mai arbeitet sie daran, einen Autorenstamm für die Schaubühne aufzubauen. Soll sie erklären, was ein senior reader eigentlich ist, schwankt sie zwischen "Lektorat" und "Dramaturgie". Das Zögern und die englische Bezeichnung kommen nicht von ungefähr: Das Autoren/Dramaturgen-Modell der Berliner Schaubühne ist für Deutschland eine Neuheit, importiert vom Londoner Royal Court Theatre, wo Maja Zade Lektorin war, bis Thomas Ostermeier und Jens Hillje sie für die Schaubühne abwarben.

Der Name Royal Court am Londoner Sloane Square taucht immer wieder auf in Verbindung mit der neuen Schaubühne: Als Vorbild für ein dezidiertes Autorentheater, wie es Ostermeier & Co. anstreben, als Talentschmiede für junge, unbekannte Theaterautoren, als Quelle für die meisten Stücke, mit denen Ostermeiers Experiment "Baracke" in den vergangenen Jahren Erfolg hatte, als Mitbegründer eines "Europäischen Komitees für Neue Dramatik", das internationale Theaterfestivals und Autorenaustauschwochen organisiert - und als Heimat für Maja Zade.

Die gebürtige Deutsche, die als 12-Jährige mit ihren Eltern nach Schweden übersiedelte, wechselte zum Studium der Theaterwissenschaften nach London und fand dort den Weg ins Royal Court. Zwei Jahre lang war sie Lektorin am Theater, fraß sich durch Berge von Manuskripten, übersetzte Marius von Mayenburgs "Feuergesicht" und arbeitete als Dramaturgin, unter anderem für Sarah Kane. Das Baracken-Team um Thomas Ostermeier lernte sie bei einer "Deutschen Woche" kennen, mit der das Royal Court Autoren wie Dea Loher, Simone Schneider und Oliver Bukowski in London vorstellte. Darauf folgte sie ihnen für eine zweimonatige stage nach Berlin.

Was ihre Aufgabe als senior reader ist, weiß Maja Zade jedenfalls genau: Lesen, lesen, lesen. Es gilt, neue Autoren zu entdecken, frische Stücke zu finden. Anstatt den Theaterverlagen die Autorenpflege zu überlassen, wie in Deutschland üblich, wollen die Schaubühnen-Lektoren selbst den Kontakt zu Autoren aufbauen, wollen als Agenten und Entdecker tätig werden. Jedes Manuskript, ob angefordert oder unverlangt eingesandt, wird gelesen und beantwortet, verspricht Zade, und das so schnell wie möglich. Ist es gut genug, winkt eine Inszenierung am großen Haus, mit einem vielköpfigen, jungen Ensemble, es winkt auch eine umfassende Betreuung durch Dramaturgen, Regisseure und andere Autoren. Und es winkt Geld.

Eigentlich hätte man erwarten können, dass mit diesen Aussichten die Manuskripte der Schaubühne gleich bergeweise ins Haus flatterten: Durchschnittlich 50, manchmal bis zu 80 Manuskripe seien beim Londoner Royal Court Theatre pro Woche eingelaufen, weiß Zade zu berichten. Was aber auch daran gelegen habe, dass in London jeder, der am Theater beschäftigt war, ständig auf der Suche nach brauchbaren Stücken gewesen sei: "Da hat die Garderobenfrau etwas angeschleppt, das Bekannte von ihr geschrieben haben, Schauspieler haben sich gegenseitig weiterempfohlen, Literary Manager und Regisseure sind ausgeschwärmt in die kleinen Off-Theater überall in England, auf die Fringe-Festivals, in die Pubs, Kneipen und Universitäten, immer auf der Suche nach neuen, unbekannten Talenten."

Hier in Berlin muss eine solche Infrastruktur erst langsam aufgebaut werden, müssen solche Autoren erst noch geschaffen werden, weiß auch Zade. Das Royal Court betreibt seine Autorenpflege immerhin schon seit 1956, während in Deutschland bislang traditionellerweise das Regietheater dominierte. In Berlin will Zade die künftigen Schaubühnenautoren daher auch vornehmlich außerhalb der überkommenen Theaterstrukturen suchen: Sie geht auf Lesungen, in die literarischen Salons und in Schulen. Mit Lese- und Schreibwerkstätten, Jugendtheaterprojekten und Autorenworkshops versucht sie, die Scheu vor dem Schreiben zu überwinden.

Dabei geht es ihr keineswegs um formale Perfektion: "Es sind nicht die fertigen, anspruchsvoll gebauten Stücke, die wir suchen. Wichtig ist, dass das Stück den Kontakt zur Wirklichkeit behält, dass es gut spielbar und echt ist. Der Rest ist Arbeit der Dramaturgen." Maja Zade ist optimistisch. Vielleicht ist der Taxifahrer der nächste Theaterstar?

Christina Tilmann

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