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Tom Struyf.

© Tine Struyf

Stückemarkt beim Theatetreffen: Endlich wieder gute Texte!

Theatertexte entstehen nicht im stillen Dramatikerkämmerlein. Das zeigen die Autoren und Autorinnen beim Stückemarkt des Theatertreffens. Endlich geht es wieder um Sprache und gute Texte - egal in welcher Form.

Vermutlich gehen die wenigsten mit der Absicht ins Theater, kein Wort zu kapieren. Aber es kommt natürlich vor. Beim „Talking Straight Festival“ ist die Verständnislosigkeit sogar Voraussetzung – und soll als lustvoll erlebt werden. Die Veranstaltung wird komplett in „Fremdsprache“ gehalten. Einem eigens erdichteten Phantasie-Idiom, das nur fern an vertraute Grammatik erinnert.

Das „Talking Straight“-Event fand 2014 am Maxim Gorki Theater statt. Aufgezogen wie ein echtes Festival, mit Gastspielen und Artist Talks. Motto: „Weiße Menschen: unverständlich, exotisch und roh, aber auch endlos gefühlvoll“. Ziemlich smarte Perspektivumkehr: Der Reiz des Fremden, sonst per se etwa afrikanischen Produktionen angedichtet, wird auf den gemeinen Berliner Kulturkonsumenten zurückprojiziert. Jetzt gastiert das „Talking Straight Festival“ einen Tag lang beim Stückemarkt des Theatertreffens. Wieso? Zuerst: Weil es einen Autor hat – Daniel Cremer, gelernter Performer und Dichter der „Fremdsprache“. Und um Sprache, betont Leiterin Christina Zintl, „geht es in diesem Jahr wieder verstärkt.“ Durchaus nicht selbstverständlich. Der Stückemarkt hat eine Suche hinter sich, von der auch Zintl sagt, sie sei nicht unbedingt geradlinig verlaufen. Was ja legitim ist.

Der Stückemarkt hat wieder eine Jury

2012 begann der Abschied vom Konzept, einfach nur fünf ausgewählte Stücke in szenischen Lesungen zu präsentieren. Der vielbeschworenen „Weitung des Autorenbegriffs“ wollte man mit einem „Laborprojekt“ entsprechen – der Entwicklung einer Performance der Gruppe Markus & Markus unter Schirmherrschaft von René Pollesch. Was zu keinem wirklich befriedigenden Ergebnis führte. 2013 war man hinsichtlich neuer Dramatik aus dem Schneider, weil der Stückemarkt seinen 35. Geburtstag mit einem Best-of feierte. 2014 versuchten sich die Strategen an einem Patensystem: Signa Köstler, Katie Mitchell und Simon Stephens durften je eine Nachwuchskraft ihrer Wahl einladen. Und entschieden sich überwiegend für solche Künstler, mit denen sie arbeitsmäßig verbandelt waren. Ein Stückemarkt mit Beigeschmack.

Jetzt ist vernünftigerweise wieder eine Jury installiert worden. Tim Etchells (Forced Entertainment), Helgard Haug (Rimini Protokoll), Lutz Hübner, Milo Rau und Theatertreffen-Leiterin Yvonne Büdenhölzer haben die Auswahl aus 277 europaweiten Einreichungen getroffen. Dass ein Theatertext nicht nur im stillen Dramatikerkämmerlein entsteht, bildet auch dieser Jahrgang ab. Aber er wirkt nicht mehr so zerquält um Zeitgenossenschaft und Mode bemüht. Vielleicht auch, weil sich viele Debatten – Uraufführungswahn, Überproduktion, Autorenbegriff – inzwischen leergelaufen haben. Es darf jetzt wieder um gute Texte gehen. Egal in welcher Form.

Gastspiel mit Tom Struyf und "Another great year for fishing"

Als zweites Gastspiel kommt das Projekt „Another great year for fishing“ des belgischen Autors Tom Struyf vom Antwerpener Kunstzentrum Monty, entstanden mit der Choreografin Nelle Hens. Sie verschränkt Text und Tanz mit Videointerviews, die Struyf etwa mit einem Psychiater, einem Spin-Doktor, einer Anthropologin und einer Menschenrechtsexpertin geführt hat. Das Ganze verdichtet sich zur Selbstbefragung eines Mitteleuropäers, der lost in globalization und vom Sinn-Burnout gepackt ist. Ein grandioser Monolog, den Struyf hält, erzählt von einer angstbeladenen Autofahrt in Südafrika auf der Suche nach dem Ende der Welt. Die Bilder, die wir uns von der Fremde machen, reisen uns voraus.

Um Entfremdungszusammenhänge der Globalisierung geht es auch der französischen Autorin Alexandra Badea, die in „Pulvérisés (Zersplittert)“ Erzählungen eines Kundencenter-Leiters aus Dakar, einer Fertigungskraft aus Shanghai oder eines Entwicklungsingenieurs aus Bukarest mit melancholischem Grundrauschen gegeneinander schneidet. Dieser Text wird, wie auch das Stück „Hose Fahrrad Frau“ von Stefan Wipplinger, ganz klassisch in szenischer Lesung präsentiert. Wipplinger spielt Tauschbeziehungen und Eigentumsverhältnisse durch, was sich in der Frage zuspitzt, ob man einen Menschen besitzen kann.

Das Publikum muss mitschreiben

Was sich hinter der Performance „The State“ von Alexander Manuiloff verbirgt, unterliegt wegen Spielverderber-Alarms der Geheimhaltung. Nur soviel: Keine Schauspieler, kein Regisseur. Das Publikum muss die Geschichte aktiv mitschreiben. Das wiederum passt zum zentralen Anliegen dieses Stückemarkt-Jahrgangs: „Das Bewusstsein dafür zu schärfen“, so Christina Zintl, „was die Rolle des Autors sein kann.“

Eröffnung des Stückemarkts im Haus der Berliner Festspiele am 3. Mai um 16 Uhr, danach „Hose Fahrrad Frau“ (17 Uhr) und „Der Staat/The State“ (20 Uhr). „Talking Straight Festival“ am 4. Mai (16 Uhr). Am 5. Mai „Zersplittert“ (18 Uhr) und „Another great year for fishing“ (20.30 Uhr)

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