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Kultur: Stumm und schön

Der koreanische Regisseur Kim Ki-duk entdeckt die Zärtlichkeit – in seinem Meisterwerk „Bin-Jip“

Er heißt Tae-suk, verrät das Presseheft. Und sie: Sun-hwa. Aber warum sollten wir uns ihre Namen merken, wenn sie die ganze Zeit ohne ein Wort auskommen? Halt, einmal gibt es einen Schrei. Und einmal ein „Ich liebe dich“ (aber eines, das jemand gleich falsch versteht).

Er und sie also: zwei wunderbar Stumme. Am liebsten möchte man selber verstummen vor diesem so traumschönen Film oder in einer anderen Sprache von ihm reden: Zeichensprache, Gestensprache, Blicksprache. Macht nichts, unser Alphabet hat 26 Zeichen.

Wie verständigen sie sich – der Motorradfahrer, der fremde Wohnungen knackt, und das vom Ehemann wie eine Gefangene gehaltene und misshandelte Ex-Model, das der junge Mann plötzlich in einem luxuriös eingerichteten Haus vorfindet? Indem man eine Bluse und einen Rock aus dem Schrank nimmt und auf dem Fußboden zurechtlegt (er). Indem man eine Musik auflegt, es könnte ein Liebeslied sein (er). Indem man sich keck in den Weg stellt (sie). Indem man das Motorrad startet und dröhnen lässt und wartet (er). Indem man einen Körper, der sich nicht aufdrängt im Bett, sanft zu sich herüberzieht (sie).

Und wie verständigen sich die beiden so Stummen mit der Welt? Sie hat es verlernt. Aus einer äußersten Verschüchterung muss sie zurück in ein Vertrauen, das geht am besten ohne Wörter: durch Beobachten, durch Zeichen, durch Lächeln, durch Berührung irgendwann. Er verständigt sich mit der Welt durch einen Trick: hängt Pizzadienst-Flyer an Villentore, in Appartement-Laubengänge, an Schrottplattenhochhauswohnungstüren – und kommt nach ein paar Tagen wieder vorbei. Hängt der Zettel noch, ist die Wohnung reif. Nur: Geklaut wird nichts. Stattdessen hinterlässt der anonyme Schmarotzer Zeichen heinzelmannhafter Freundlichkeit: handgewaschene Frischwäsche der Hausherrn, reparierte und gleich noch feinjustierte Uhren, Mini-Anlagen, Waagen.

Er ist ein Sanfter, wie sie. Er ist nicht von dieser Welt, von Anfang an. Es sei denn, diese Welt funkt ihm böse in sein unsichtbares Mitwohnerleben hinein. Dann spielt er Golf, ziemlich gut Golf, und trifft mit den Bällen Menschen, die es verdient haben. Und riskiert es klaglos, genauso traktiert zu werden, wenn die Welt mal ihn einfängt. Wenn sie denn glaubt, ihn einfangen zu können. Es gibt so Menschen: Sie sind physisch vorhanden, aber sie sind wie durchsichtig. Niemand kann ihnen etwas anhaben. Finden sich zwei davon, definieren sie, wenn wir Glück haben, das spezifische Gewicht der Liebe: null. Schwerelosigkeit.

Kim Ki-duks Filme spielen im Jetzt, im Hier, und führen doch schnurstracks in ein Paralleluniversum. Ein sehr regelhaftes: Wer das Augenreisen nicht ganz verlernt hat, findet sich sofort darin zurecht. In früheren Filmen hat der koreanische Regisseur oft sehr schmerzhafte Regeln aufgestellt, auch für den Beweis von Liebe und Nähe („Die Insel“, „Bad Guy“, „Samaria“) – und sein Publikum in total Passionierte und ziemlich panisch Davonfliehende gespalten. Neuerdings scheint er zu einer Art Ruhe, ja Heiterkeit zu finden, ohne von seinen immer hermetischen, fast immer hypnotischen Seelenwelten zu lassen („Frühling, Sommer, Herbst, Winter...und Frühling“ und sein jüngst in Cannes vorgestellter „Der Bogen“). „Bin-Jip“ – auf deutsch: „Leeres Haus“ – ist sein bislang frohester, zärtlichster, sinnlichster, erotischster Film (einer ganz ohne Sexszenen).

Wir begleiten das Paar durch eine Reihe gekaperter Wohnungen, bis es auffliegt. Oder sind es sie, die auffliegen, weil sie eigentlich Engel sind – weil er auch sie irgendwann verwandelt hat in seinesgleichen, vor lauter Neben-derWelt-Sein und Glück? Als es ihnen einmal schlimm ergeht, spielt der Regisseur zunächst mit unserer Erinnerung an Gewaltbilder in seinen Filmen (ohne sie zu zitieren, das hat der ungemein kreative Kim Ki-duk nicht nötig); doch lächelt dann eher darüber, stumm, wie seine Helden. Und fortan nimmt der Film einen zauberhaften Weg, über den man nun am besten gar nicht mehr spricht.

Wie es überhaupt am schönsten wäre, wenn die mühelos sanft agierenden Schauspieler Jae Hee (er) und Lee Seung-yeon (sie) nur für „Bin-Jip“ erfunden wären. Nie wieder begegneten sie uns in anderen Filmen, dafür immer wieder mal in diesem, wenn wir in ihm Ruhe, Zartheit, Zärtlichkeit suchen vor so vielen anderen. Oder sie erschienen uns im Traum oder anderswo, wo die Welt nicht schwerer wiegt als die Liebe.

Eiszeit, Filmkunst 66, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, (OmU). Kulturbrauerei, Yorck

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