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Festival "Tanz im August": Sudetendeutsch mit Burka

Das große Normenschütteln und Rütteln: zum Abschluss des Festivals „Tanz im August“.

Von Sandra Luzina

So viele Sexposen, so viel Pop und Gender-Bending hat es beim „Tanz im August“ noch nicht gegeben. Bettina Masuch hat das Festival, das sein 25-jähriges Jubiläum feierte, geöffnet. Es ging also weniger verkopft zu als in den Vorjahren, aber so richtig ekstatisch wurde es auch nicht. Das schrille Duo Cecilia Bengolea und François Chaignaud etwa wollte den Berlinern den „Twerk“ und andere angesagte Tanzstile nahebringen.

Für „altered Natives’ Say Yes To Another Excess – TWERK“ haben die beiden zwei tolle Londoner DJs mitgebracht, doch auf der Bühne sieht man vor allem laszives Pogewackel, wie man es aus HipHop-Videos kennt. Klar, dass die beiden Männer den Booty-Shake nicht den Frauen überlassen wollten. So schüttelt auch Chaignaud als Trans-Gogo alles, was er hat. Doch der Abend war nicht mehr als eine billige Anmache.

Richtig abtörnend danach „nosotres“ von Javiera Péon-Vega. Zwei Frauen und ein Mann stecken in weißen Trikots, die wie ein Ganzkörperkondom anmuten. Wenn sie durch diverse Stellungen turnen, sind keine gut geschmierten Sexmaschinen zu sehen, sondern schwerfällige Körper, die sich ungelenk und freudlos aneinander reiben. Es wird auch nicht lustvoller, wenn die Performer sich zu Dschungelgeräuschen die Klamotten vom Leib reißen. Die chilenische Choreografin wollte angeblich die Oppositionen wie männlich und weiblich, hetero- und homosexuell überwinden. Unheimlich wirkt hier aber nur die Dominanz der Frauen.

Gar nicht vordergründig das intime Duett „Victor“, in dem sich der Theatermacher Peter Seynaeve und der Choreograf Jan Martens auf heikles Terrain begeben. Wenn sich der 13-jährige Viktor Caudron und der mehr als doppelt so alte Tänzer Steven Michel mit nacktem Oberkörper gegenüberstehen, hält das Publikum den Atem an. Es geht um eine physische Begegnung zwischen Ungleichen, zugleich spielen hier kulturelle Normen mit, die den Kontakt zwischen Kindern und Erwachsenen regeln.

Es sind durchaus väterlich behütende Gesten zu erkennen, wenn der muskulöse Michel den schmalen Kinderkörper hochhebt und sich über die Schulter wirft. Doch das Stück lässt offen, welche Beziehung zwischen den beiden besteht. Es geht nicht nur um Stärke und Schwäche. „Victor“ stellt behutsam die Übermacht des Mannes infrage; das Duo zeigt ungewohnte Bilder einer intuitiven Vertrautheit – zwei Körper im Gleichklang. Doch immer ist die Grenze spürbar, die nicht überschritten werden darf.

Die exotischste Aufführung kam von Jochen Roller. Der Berliner Choreoegraf entführte in ein Land, in dem es merkwürdige Stammesrituale gibt, in dem die Eingeborenen sich an primitiven Tänzen erfreuen und einen lustigen Kopfputz tragen. Die Rede ist von Deutschland. Rollers Kunstgriff: Er lässt Folkloretänze wie den Schuhplattler oder den Ländler zu Weltmusik tanzen. Zusätzlich wird das Brauchtum dadurch verfremdet, dass drei der Tänzer aus Tonga, Singapur und Sri Lanka kommen. Den Ethno-Appeal hat dank der tollen Kostüme von Daniel Kroh, der schon mal die Trachten der Sudetendeutschen mit einer Burka kreuzt.

Laurent Chétouane hat sich angeblich von dem Philosophen Jean-Luc Nancy zu seinem Stück „15 Variationen über das Offene“ anregen lassen. Was ganz schön anmaßend ist. Die vier Tänzer bewegen sich wie unter Valium und müssen eine enervierende Unentschiedenheit an den Tag legen. Einschläfernd.

In seiner Jubiläumsausgabe lud der „Tanz im August“ überdies zu einer Wiederbegegnung mit den Pionieren der 70er Jahre ein. Trisha Brown und Steve Paxton setzten anfangs Maßstäbe, Kunst-Star Tino Sehgal bescherte dem Festival zudem einen wunderbar surrealen Abend. Die Jüngeren knüpfen also an aktuelle Diskurse an, doch viele der Arbeiten enttäuschten – oder waren einfach banal. Sandra Luzina

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