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Kultur: Südsee hinter Säulen

Mit unvermuteter Leidenschaft ist die zehnjährige Diskussion über das Für und Wider eines Wiederaufbaus des Berliner Schlosses aufs Neue entbrannt. Es erweist sich als geschickter Schachzug der Kommission Historische Mitte Berlin, ihre Empfehlungen zur Bebauung des leeren Areals unmittelbar vor der Weihnachtspause ausgesprochen, jedoch noch nicht durch einen ausformulierten Abschlussbericht unterfüttert zu haben.

Mit unvermuteter Leidenschaft ist die zehnjährige Diskussion über das Für und Wider eines Wiederaufbaus des Berliner Schlosses aufs Neue entbrannt. Es erweist sich als geschickter Schachzug der Kommission Historische Mitte Berlin, ihre Empfehlungen zur Bebauung des leeren Areals unmittelbar vor der Weihnachtspause ausgesprochen, jedoch noch nicht durch einen ausformulierten Abschlussbericht unterfüttert zu haben. Dem Spiel der Gedanken ist damit freie Bahn bereitet, und die mächtige Resonanz, die das Votum für die Wiedererrichtung eines Gebäudes in den Ausmaßen und mit den Fassaden des barocken Originals gefunden hat, belegt die Brisanz des Themas.

Erneut haben Befürworter und Gegner einer Schloss-Rekonstruktion Aufstellung genommen. Dabei haben sich die Argumente und damit die Gewichte der streitenden Parteien durchaus verschoben. Während die Phalanx der Befürworter durch die tief greifenden Forschungen der vergangenen Jahre, die die Gestalt und selbst die Innenräume des Schlosses immer plastischer vor Augen gestellt haben, an Stärke gewonnen hat, mussten sich die Gegner sogar von ihrem ideologischen Haupteinwand verabschieden. Die Rückkehr Preußens durch das trojanische Pferd des Schlosses steht wahrlich nicht zu befürchten. Die Berliner Republik hat ihr Selbstverständnis gefunden, und alle Irritationen, die die Wiedervereinigung anfangs geweckt haben mochte, sind verflogen. Das zu Ende gegangene "Preußenjahr" 2001 hat, wenn es überhaupt zur Erinnerung an den einst größten deutschen Teilstaat beigetragen hat, vor allem dessen endgültigen Eingang in die Geschichte unterstrichen.

So kehren die Gegner zurück zu genau jenen Einwänden, die in den zurückliegenen Jahren Stück um Stück entkräftet worden sind: dass eine Rekonstruktion technisch, denkmalpflegerisch, baukünstlerisch nicht möglich sei. Und, zweiter Lieblingseinwand, dass die Fähigkeit der Gegenwartsarchitektur, ein befriedigendes Ergebnis auch auf der anspruchsvollen Leerstelle des Schlossareals zu schaffen, erst in einem Wettbewerb erwiesen werden müsse. Als habe es nicht jede Möglichkeit gegeben, dem Genie der Gegenwart in einer Ideeskizze Gestalt zu geben! Zuletzt versucht hat es Axel Schultes , ohne doch die Schloss-Kommission schwankend machen zu können. Nein, in den zurückliegenden zehn Jahren ist nicht ein einziger Baugedanke geäußert worden, der es mit Schlüters gesprengtem Barockkubus hätte aufnehmen können.

Städtebaulich, architektonisch und denkmalpflegerisch ist keiner der Einwände gegen das Schloss haltbar, das darf als Ergebnis der Diskussion festgehalten werden. Ein neues Argument gegen die Schloss-Annäherung ist bei den Gebildeten unter ihren Verächtern in den Vordergrund getreten - eines, das allerdings verdient, genau erwogen zu werden. Es ist dies der Einwand gegen die Stimmigkeit von Gebäudehülle und vorgesehener Nutzung. In einem künftigen Schlossbau sollen die außereuropäischen Bestände der Staatlichen Museen, die wissenschaftshistorischen Sammlungen der Humboldt-Universität sowie die Berliner Stadtbibliothek ihren Platz finden. Ob die vorgesehenen Nutzungen eine sinnvolle Einheit bilden oder doch nur eine zufällige Addition bleiben müssen, ist in der Erleichterung über endlich gefundene "Schlossherren" untergegangen. Ob diese drei Nutzungen darüber hinaus in Schlüters Fassaden eine glückliche Figur machen, rückt jetzt ins Zentrum der Überlegungen.

Gewiss kann man hinter Säulen und Pilastern auch Südsee-Einbäume ausstellen oder Kriminalromane ausleihen - insbesondere dann, wenn man ein Barockbauwerk hat, das zeitgenössischen Gebrauch erheischt. Den Barock nachzubauen, um ihn dann fern seiner ursprünglichen Bestimmung zu nutzen, macht indessen skeptisch.

Hier hätte die Kommission Historische Mitte Berlin noch einiges an Klärung nachzuliefern - oder vielmehr auf ihren Namen zu verweisen: dass sie die historische Mitte der Stadt zu bedenken hat. Von dieser Mitte und ihrem seit der Schloss-Sprengung 1950 andauernden Leerstand aus hat sie sich für Schlüters Kubus entschieden. Von Schlüter auszugehen, heißt, die historische Rolle des Schlosses als Mitte Preußens zu berücksichtigen. Die von der Kommission wohl ohne längere Erwägung verworfene Überlegung, in einem wiederaufzubauenden Schloss ein Museum der preußisch-deutschen Geschichte und Kultur einzurichten, ist keineswegs erledigt. Gerade weil Preußen kein politisches Gespenst mehr ist, muss die museale Erinnerung an den Vorläufer des (bundes-)deutschen Nationalstaats nicht länger gefürchtet werden. Die von der Kommission unternommene Entkoppelung von Form und Inhalt, von Gebäudehülle und Nutzung ist womöglich noch nicht die Antwort auf die zehn Jahre lang gestellten Fragen.

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