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Kultur: Sünde, fromme Seligkeit

Richard-Wagner-Festspiele Bayreuth: „Der fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“

Zwei alte Kapitäne verabreden ein Geschäft. Der eine heißt Daland, der andere nennt sich Holländer. Zwillingsgleich in ihren Kapitänsuniformen setzen die beiden ihre Brillen auf, um über die Kapitänstochter Senta zu verhandeln. Dass der bleiche Seemann dem Vater Sentas zum Verwechseln ähnlich sieht, macht das Konzept des Regisseurs Klaus Guth aus. Senta ist Vaters Stolz, ein Vaterkind, das in großbürgerlichem Haushalt zwischen feschen Matrosen aufwächst. Ihre Puppen sind von der Waterkant, später mischt sich ein Skelett darunter, aber das berühmte verwünschte Geisterschiff gibt es in diesem „Fliegenden Holländer“ von Richard Wagner nicht. Stattdessen ein Märchenbuch, aus dem Senta die Geschichte von dem Märtyrer der Meere auswendig kennt.

Nach dem Maßstab dessen, was derzeit bei den ergrauten Bayreuther Festspielen möglich ist, geht von Guths Konzept ein spannender Abend aus. Die dekorative Halle des Bühnenbildes (Christian Schmidt) steht zur Hälfte auf dem Kopf, als wäre sie von Baselitz entworfen. Daraus lässt sich messerscharf schließen, dass etwas nicht geheuer ist in der Kapitänsvilla. Da liegt zum Beispiel der Holländer am Boden wie eine Leiche, nachdem er von „ewiger Vernichtung“ gesungen hat. Im gewöhnlichen Krimi, der dem normalen Leben näher ist, wäre das ein Fall für den Notarzt. Hier aber ruft der Hausherr Daland seinem hingestreckten Double zu: „Wer bist du? Gott zum Gruß!“ Vieles ist dem Unterhaltungstheater nahe wie die absurden Tänze der Spinnerinnen und des Steuermannschores, was dem Spiel amüsanten Antrieb gibt.

Aber die Aufführung hat einen Gedankenfehler: Sie verkennt, dass die beiden Kapitäne aus verschiedenen musikalischen Welten kommen. Der Holländer mit seiner Todessehnsucht steht einem Kaufmann gegenüber, der das Leben und das Geld liebt und danach trachtet, die Tochter so teuer wie möglich zu verkaufen. Der Monolog des Holländers vom „stolzen Ozean“ steht in dramatischem Kontrast zu der melodischen Gefälligkeit dessen, der berufsmäßig darauf segelt. Dass einer Senta, die den Holländer erlösen will, dieser Gegensatz nicht bewusst wird, erscheint fraglich. Rührend aber, wie sie sich im Augenblick der Katastrophe an den Ledersessel des Vaters klammert. Aus der Traum, der sie mit dem Holländer verbunden hat. Die Inszenierung besticht mit Details, obwohl sie in sich nicht stimmig ist.

Der musikalische Zustand der Aufführung ist beklagenswert. Jukka Rasilainen steht als neuer Holländer auf der Bühne, und ihm stockt der Atem, wenn er zur Kantilene „über seinen Engel Gottes“ ansetzt. Das ist kaum mehr als ein Stochern in der Melodie. Im Duett mit ihm gerät Adrienne Dugger als Senta, die schon mit der Ballade Intonationsprobleme hat, in die Gefahr stimmlichen Zusammenbruchs. Gediegen langweilig: Endrik Wottrichs Erik, verbraucht und schwach: Uta Priew als Mary. Keine der Personen ist imstande, Anteilnahme für sich und ihr Geschick in der Handlung zu wecken. Das ergibt eine Tragödie von Bayreuth.

Fraglich ist, ob das Richard-Wagner-Museum diesem Jahrgang mit der Sonderausstellung „Sternstunden von Neu-Bayreuth“ im Haus Wahnfried einen Gefallen getan hat. Denn von den Fotos scheint herab zu klingen, was damals möglich war, als es „die beiden Brünnhilden“ Martha Mödl und Astrid Varnay alternierend auf dem grünen Hügel gab, und Windgassen, Hotter, Greindl, Birgit Nilsson, Anja Silja, Theo Adam – Spitze in allen Fächern.

Genügsam geworden und vorbereitet auf eine belanglose Inszenierung Philippe Arlauds, erlebt man im Festspielhaus mit dem „Tannhäuser“ eine kleine Auffrischung. Nach dem kapellmeisterlichen „Holländer“-Dirigat von Marc Albrecht, in dem kein Mythos raunt, aber willkommene Analyse herrscht, erscheint nun eine prägende musikalische Handschrift: Christian Thielemann dirigiert die Oper „Tannhäuser“, das Erlösungsdrama von Sünde und frommer Sehnsucht, mit Klangseligkeit, Streicher- und Holzbläsergold. So verhilft er dem auf der Bühne versammelten Festspielorchester wie dem Chor am Ende zu den verdienten standing ovations.

Erotik stellt sich in der Regie Arlauds im Ausziehen von Mänteln dar. Die gesamte Personenführung ist im Eimer, während Arlaud als Bühnenbildner sein Heil in symbolistischem Mohnblumenkitsch sucht. Zunächst enttäuscht jeder Sängereinsatz. Vor allem bei der Venus (Judit Nemeth) und dem Landgrafen (Guido Jentjens) bleibt es bei diesem matten Ergebnis. Ricarda Merbeth aber konzentriert für die Gebetsarie der Elisabeth ihre besten Gestaltungskräfte. Roman Trekel überwindet die Mühe, die seine schmale Stimme mit der Partie des Wolfram hat, und macht das Lied an den Abendstern zu einer großen bewegenden Leistung. Mit der Eigendynamik des dritten Aufzugs steigert sich auch Stephen Gould in der Titelrolle, so dass Tannhäusers Romerzählung zu einer hochdramatischen Szene in Wort und Ton wird. Das tröstet ein bisschen nach zwei trüben Festspieltagen. Und das Wagnerpublikum tobt vor Freude.

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