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Kultur: Sünden haben ihren Preis

Nie waren sie so dick wie heute.Über einen Mangel an Material kann sich die Villa Grisebach nicht beschweren: Die Kataloge der Frühjahrsauktion am 4.

Nie waren sie so dick wie heute.Über einen Mangel an Material kann sich die Villa Grisebach nicht beschweren: Die Kataloge der Frühjahrsauktion am 4./ 5.Juni platzen aus allen Nähten; selbst während der allgemeinen Hausse Ende der 80er Jahre war das Angebot kleiner.Ist dies ein Zeichen des Aufschwungs? Auf jeden Fall ist das Spektrum der Künstler der Klassischen Moderne, die mit sehr guten Werken auch sehr gute Preise erzielen, heute größer denn je.

Ohne die alten Säulenheiligen geht es natürlich nicht.Höchste Erwartungen gelten diesmal einem sich verheißungsvoll räkelnden Mädchenakt von Erich Heckel von 1910.Wie ein Signal leuchtet der üppige, rötlich-gelbe Körper, während sich das Antlitz hinter einer beunruhigenden Maske aus weißer und roter Schminke verbirgt.Zwei bis zweieinhalb Millionen Mark soll die fleischgewordene Sünde kosten, ein Preis, der trotz der hohen Qualität des Bildes wohl nicht ganz leicht zu erzielen ist.Nummer Zwei ist Schmidt-Rottluffs kantiger, hockender Akt von 1914, der bereits vor fünf Jahren an gleicher Stelle 980 000 Mark brachte und nun auf mindestens eine Million Mark geschätzt ist.Und da wir schon bei den Brücke-Expressionisten sind: Sehr schön ist etwa auch die große, in dieser Farbfassung einmalige Lithografie "Fischerkinder" von Emil Nolde, die der Künstler dem Verfasser des druckgrafischen Werkverzeichnisses, Gustav Schiefler, widmete (1926, 150 000 Mark).

Angesichts solcher Vorgaben dürfen die Impressionisten nicht nachstehen, und sie tun es auch nicht, dank Lesser Ury, der gleich mit zwei aufregenden Ölbildern vertreten ist.Mit einem des Nachts flanierenden eleganten Paar (1889, bis 400 000 Mark) und einer unglaublich modern anmutenden "Nachtstimmung" mit Droschke in Rauch oder Nebel für 300 000 Mark.Die Formauflösung bei diesem Bild ist ähnlich weit getrieben wie bei der "Frau vor dem Spiegel", die Edouard Vuillard um 1890/95 auf Karton malte und nun wenigstens 120 000 Mark einspielen soll.Vuillard ist einer von dreien aus der Riege der französischen Avantgarde um die Jahrhundertwende, die zugegen sind.Ebenfalls angetreten sind Bonnard mit einer etwa 1894 entstandenen "Passantin" (100 000 Mark) und Albert Marquet, dessen Blick auf die Kathedrale von Notre Dame von einer leisen Melancholie getragen zu sein scheint (1908, bis 120 000 Mark).

Und die versprochenen "Außenseiter", die ebenfalls in den Extra-Katalog mit den ausgewählten Stücken aufgenommen wurden und hier für belebende Akzente sorgen? Da ist zum Beispiel Jacoba van Heemskerck, die einst zu den Lieblingskünstlern des Berliner "Sturm"-Galeristen Herwarth Walden gehörte und heute nur selten auf deutschen Auktionen zu Gast ist.Ihr museales, monumentales "Bild 2, Hafen" (um 1914/18), eine fast kristalline Komposition groß angelegter Farbflächen, stammt aus dem Nachlaß des "Sturm"- und Bauhaus-Künstlers Lothar Schreyer und sollte eigentlich mehr als nur die veranschlagten 70 000 Mark bis 90 000 Mark einspielen.Das Gleiche gilt für den ebenso eingeschätzten "Bahnhofsplatz in Köln am Rhein" von dem Feininger-Schüler Carl Grossberg - ein lupenreines Stück Neue Sachlichkeit von 1927, wie es in dieser Qualität nicht häufig zu haben ist.Eher optimistisch dagegen erscheinen die Taxen für die beiden Bilder des ebenfalls neusachlichen Malers Gustav Wunderwald.Sollte seine Berliner "U-Bahn-Station Schönhauser Tor" (auch von 1927) tatsächlich auf die obere Taxe von 130 000 DM klettern, so dürfte dies ein Rekord für den Künstler bedeuten.

Der Kunst nach 1945 fällt es da schwer mitzuhalten.Mit am schönsten ist hier die "Kleine Pastorale", die Ernst Wilhelm Nay 1945, am Beginn seiner berühmten "Hekate"-Periode malte - ein Aufbruch zu neuen Ufern vor dem Hintergrund des expressionistischen Erbes (bis 180 000 Mark).Für Nay war diese Phase Episode, anders als für die Neuen Wilden, die sich viel später auf ihre Weise mit der Tradition expressionistischer Figurenmalerei herumschlugen und zum Teil immer noch -schlagen.Man darf gespannt sein, ob ihre Arbeiten, die sich im zweiten Katalog einfach nicht übersehen lassen, auf die Gegenliebe des wählerischen Publikums stoßen.Zwischen 7000 und 30 000 Mark kosten die großen Leinwände der Großstadtindianer Luciano Castelli, Fetting, Salomé, Bernd Zimmer und Elvira Bach aus den 80er Jahren.

Bleibt noch die Fotografie, der wieder ein eigener Band gewidmet ist: auch er mit knapp vierhundert Nummern umfangreicher denn je.Der Schwerpunkt liegt wie immer auf den 20er bis 50er Jahren, Fotografen wie Albert Renger-Patzsch, Umbo, Herbert List und Peter Keetman sind hier gleich mit einer ganzen Reihe hervorragender Arbeiten vertreten.Von den Amerikanern befinden sich etwa Ansel Adams mit einer heroischen Landschaft (1950, bis 8000 Mark), Margaret Bourke-White mit einem exzellenten Industriefoto (1934, bis 10 000 Mark), Elliott Erwitt mit einer humoristischen Strandszene von 1969 im Rennen (2000 Mark, alles Vintages).Charmante und weniger charmante Szenen aus dem Pariser Leben bieten uns Robert Doisneau und Germaine Krull (bis 2000 Mark).Die Gegenwart steht ganz im Zeichen kühler Erotik - mit dem obligaten Helmut Newton und vor allem mit Richard Avedon, dessen Foto von der schönen Nastassja Kinski mit symbolträchtiger Riesenboa längst zu einer Ikone geworden ist (1981, bis 24 000 Mark).

Villa Grisebach Auktionen, Fasanenstraße 25, Auktion 4./ 5.Juni, Vorbesichtigung 30.Mai bis 3.Juni; Sonntag bis Dienstag 10 - 18.30 Uhr, Mittwoch 10 - 20 Uhr, Donnerstag 10 - 17 Uhr; vier Kataloge zus.110 Mark.

MARKUS KRAUSE

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