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Kultur: Sündige Engel, wummernde Beats

ELEKTRONIK-OPER

Wozu die künstliche Aufregung an Deutschlands Schulen? Selbst Engel gehen schließlich heutzutage nabelfrei. Auf schätzungsweise 15 Zentimeter Länge ist das weiße Flatterärmelhemd des Engels Extasis eingelaufen und lässt nicht nur Platz für eine Menge Haut, sondern signalisiert auch die gleiche naive Verruchtheit, mit der Mädels an den hiesigen Lehranstalten so gern ihre Mathelehrer irritieren. Und natürlich hat auch Extasis prompt ein Problem mit der Obrigkeit: In Eric Whitacres Opera Electronica „Paradise lost“ kämpft er – oder besser sie, denn sündige Engel sind immer weiblich – leidenschaftlich darum, dass im Himmel endlich einmal etwas anderes gesungen wird als das ewig gleiche Gotteslob. Zu den Waffen, die sie (Hila Piltmann) dabei einsetzt, gehören nicht nur Nabel, Blondmähne und knallenge schwarze Lackhosen, sondern auch ein Sopran nach Sarah-Brightman-Art, der von den Männern am Mischpult auf Kreissägenschärfe hochgepowert wird.

Dazu liefert ein Computer herkömmlichen Klangzauber, wummernde Beats, ein vierhundertstimmiger amerikanischer Laienchor die akustische Füllmasse, ein schneidiger Musicaldarsteller den maskulinen Gegenspieler und ausgerechnet der Berliner Dom den Rahmen. Irgendwie soll das Stück auch noch mit dem gleichnamigen Barockepos John Miltons zu tun haben, aber das spielt eigentlich keine Rolle Das Ganze ist natürlich heilloser Sakraltrash mit einer Lightshow, die das wilhelminisch überladene Figurenwerk des Doms in allerhand Bonbonfarben tunkt. Vorderhand gab es nur einen halbkonzertanten Querschnitt, das ganze Werk will der Komponist gerne in Berlin aufführen. Warum nicht im Big Eden?

Jörg Königsdorf

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