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SUHRKAMP: Brot und Bücher

Die Messe ist gelesen: Suhrkamp zieht von Frankfurt/Main nach Berlin. Neuer Verlagssitz soll das Nicolaihaus in Mitte sein.

In Frankfurt hatten sie sich in letzter Minute noch die größte Mühe gegeben. Der Sitz des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels sei dem Suhrkamp Verlag angeboten worden, auch war die Rede davon, dass die Unseld-Villa in der Klettenbergstraße von der Stadt Frankfurt gekauft werden, saniert und wieder an Suhrkamp rückvermietet werden sollte. Genützt hat es alles nichts mehr: Der Suhrkamp Verlag, der am 1. Juli 1950 in Frankfurt am Main von Peter Suhrkamp gegründet wurde und dort seitdem seinen Stammsitz hat, wird komplett nach Berlin ziehen, nachdem er 2005 schon eine Dependance in der Fasanenstraße eröffnet hatte. Der Umzug sei, so heißt es in einer Pressemeldung, für das Frühjahr 2010 geplant. In Frankfurt sollen eine Zweigstelle verbleiben sowie alle drei Stiftungen des Verlags. Zuvor hätten, heißt es weiter, die Gesellschafter des Verlags, nämlich die Siegfried-und-Ulla-Unseld-Familienstiftung und die Medienholding AG Winterthur, ihre Rechtsstreitigkeiten durch einen Vergleich beendet. Das kommt überraschend, gerade nach dem Hickhack, das Suhrkamp und der neue Gesellschafter Hans Barlach nicht zuletzt über die Medien ausgetragen hatten.

Als neue Adresse in der Hauptstadt hat man das Nicolaihaus in der Brüderstraße in Mitte ins Auge gefasst. André Schmitz, der Berliner Staatssekretär für Kultur, wünscht sich diesen „traditionsreichen Standort, wo einst der berühmte Aufklärer und Verleger Christoph Friedrich Nicolai, Lessing und Moses Mendelssohn aus und ein gingen.“ Wegen des Hauses, das zur Stiftung Stadtmuseum Berlin gehört, stehe man mit dem Verlag in Verhandlungen, so Schmitz.

Begonnen hatte es in der Fasanenstraße und mit einer schon damals vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit ausgesprochenen Einladung, doch ganz nach Berlin zu kommen. Einen historischen Berlin-Bezug gibt es ja auch: Am 4. Oktober 1945 hatte Peter Suhrkamp als erster deutscher Verleger in Berlin von den britischen Militärbehörden die Lizenz für einen Buchverlag erhalten. Was Ulla Unseld-Berkéwicz und ihre Berater nun endgültig dazu bewogen haben mag, den altehrwürdigen, die Lese- und Geisteskultur der Bundesrepublik bis in die späten achtziger Jahre wesentlich prägenden Verlag komplett umzusiedeln, dürfte wie so vieles ihr Geheimnis bleiben. „Jetzt ist eben das Labor in Berlin. Und da muss Suhrkamp in Berlin sein“, hat Berkéwicz dem 3-Sat-Magazin „Kulturzeit“ gesagt. Natürlich ist es so, dass seit der Wende Berlin zentraler literarischer Dreh- und Angelpunkt geworden ist. Dass in keiner Stadt die Schriftstellerdichte so groß ist wie hier. Dass das literarische Leben bewegter und intensiver ist als irgendwo anders in Deutschland. Und dass sich vielleicht auch der Austausch mit den für Suhrkamp sehr wichtigen und im Verlag so zahlreich vertretenen osteuropäischen Autoren in Berlin am leichtesten pflegen lässt.

Doch ist es zum einen dem Geist egal, wo er weht. Zum anderen machen Verlage wie Kiepenheuer & Witsch und DuMont in Köln, C.H. Beck, Piper oder gerade auch Hanser in München vor, dass es nicht nötig ist, von Berlin aus die Firmengeschäfte zu führen. Auch einige der für Suhrkamp wichtigsten jüngeren deutschen Schriftsteller, allen voran Dietmar Dath, aber auch Uwe Tellkamp und Thomas Meinecke wohnen nicht in Berlin, sondern in Freiburg (Dath/Tellkamp) und in der Nähe Münchens (Meinecke).

Bleiben die Finanzen. Ein Umzug, der einiges kosten dürfte, muss sich rechnen, und allein mit der beiläufigen Reduzierung der Belegschaft durch einen Ortswechsel ist es nicht getan. 80 Prozent der Suhrkamp-Mitarbeiter, so war zuletzt häufig zu hören, seien gegen Berlin. Berkéwicz betonte: „Alle Mitarbeiter sind eingeladen mitzukommen.“ Das klingt freundlich, dürfte aber nicht bei jedem so einfach gehen. Und von vertrauensbildenden Maßnahmen seitens der Verlagsführung konnte in den letzten Wochen der Umzugsdiskussion nicht die Rede sein.

Bleiben weiter die Finanzen, die, das hat Berkéwicz dann auch geäußert, einer der „Hauptzwecke“ des Umzugs seien, ginge es doch darum, Arbeitsplätze nicht „wegzukalkulieren, sondern zu sichern“. Die Verlagsszene stellte sich ja immer wieder die Frage, wie der mittelständische Suhrkamp Verlag mit seinen 130 Mitarbeitern Halbjahr für Halbjahr ein geradezu überbordendes Programm finanziert. Beschränkten sich vergleichbare Verlage in den letzten Jahren auf eine überschaubare Titelanzahl, macht man bei Suhrkamp weiterhin ein wahrlich nicht schlechtes, aber selten ökonomisch erfolgsträchtiges Großprogramm, so als würde man Bestseller in Serie produzieren. Kaum zu glauben, dass Suhrkamp jetzt in Berlin an Programmverschlankung denkt. Und jenseits der Finanzen? Die bundesrepublikanische Suhrkamp-Kultur, wie wir sie kennen, hat es bis in die frühen neunziger Jahre gegeben. Seitdem hat sich sehr viel geändert, seitdem sind Verlage wie KiWi kulturprägend, braucht sich ein Verlag wie Hanser nicht hinter Suhrkamp zu verstecken. Zudem arbeitet Hanser unter Michael Krüger ökonomisch erfolgreich, ohne literarische Ansprüche aufgegeben zu haben.

Insofern ist ein solcher Umzug eine zweischneidige Sache. Um das Erbe zu bewahren, der Tradition Genüge zu tun, der Frankfurter Schule Reverenz zu erweisen etc., muss Suhrkamp nicht in Frankfurt bleiben. Ob jetzt aber alles gut wird? Von personellen Änderungen in der Führungsspitze ist keine Rede. Immerhin, so hieß es in der dürren Presserklärung des Verlags gestern, „begrüßen die Gesellschafter mehrheitlich den Vorschlag der Geschäftsführung, den Verlag nach Berlin zu verlagern“. Mehrheitlich. Mitgesellschafter Joachim Unseld, der 20 Prozent Verlagsanteile besitzt, war gegen den „Umzug in die Provinz“, wie er es nannte. Gemunkelt wird, dass er seine Anteile verkauft und die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung ihre „zeitlich befristete Erwerbsmöglichkeit an den Verlagsanteilen“ (Suhrkamp-Info) dahingehend nutzt.

Was Berlin von einem Umzug des Suhrkamp Verlags hat, steht auf einem anderen Blatt. Der symbolische Wert überwiegt, Medienstandort hin oder her. Klaus Wowereit und seine Kulturverwaltung haben einen Coup gelandet, der viel Glamour hat, aber wenig Arbeitsplätze schafft. Die Autoren schweigen sich aus, vermutlich dürfte es ihnen egal sein, wo ihr Verlag nun seinen Hauptsitz hat. Adolf Muschg jedoch, lange Zeit Mitglied des Suhrkamp-Stiftungsrats, Freund und Vertrauter von Siegfried Unseld und Suhrkamp-Großautor, hat soeben verkündet, mit seinem neuen Roman zum Münchener C.H. Beck Verlag zu wechseln.

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