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Leselust unter Regenbogen. Vor allem die „Edition Suhrkamp“ begründete ab 1963 den Ruf des Verlags als geistige Heimat der linken Intelligenz.

© dpa

Suhrkamp Verlag: Leuchtturm in Dauerschieflage

Bei der Debatte um die Zukunft des Suhrkamp Verlags wird immer wieder dessen Rolle als geistige Heimat des intellektuellen Deutschland betont. Doch was steht beim Kampf um Suhrkamp kulturell wirklich auf dem Spiel?

Bei den vielen Verwerfungen der letzten Monate ist es zunehmend in Vergessenheit geraten: Der Suhrkamp Verlag befindet sich eigentlich in einer Dauerkrise. Und zwar nicht erst, seit die Verlegerwitwe Ulla Unseld-Berkéwicz nach dem Tod von Siegfried Unseld im Jahr 2002 die Geschäfte zu führen begann. Als es Unseld nach dem endgültigen Zerwürfnis mit seinem Sohn Joachim 1991 nicht gelungen war, einen geeigneten Nachfolger zu finden, schienen sich die personellen Querelen innerhalb des Verlages auch auf das Programm auszuwirken. Saison für Saison boten die jeweils neuesten Suhrkamp-Bücher Anlass für feuilletonistische Bedenkenträgerei. Wahlweise wurde das Programm als profillos, orientierungslos oder „Melange aus sprachverkrampfter Ambition und ritualisierter Todessehnsucht“ („Spiegel“) verspottet.

1997 verkündete dann der Schweizer Kaufmann Andreas Reinhart überraschend, seine 50 Prozent Anteile am Suhrkamp Verlag zu verkaufen. Was seine Auswirkungen bekanntlich bis in die Gegenwart hat. In einem „Spiegel“-Interview anlässlich dieses Anteilverkaufs durch Reinhart musste sich Suhrkamp- Verleger Siegfried Unseld die Frage gefallen lassen, warum sein Verlag „schon lange nicht mehr große kulturpolitische und literarische Diskussionen angestiftet“ habe und ob Brecht und Hesse noch ausreichten, um das wirtschaftliche Überleben auf Dauer zu sichern.

Diese Fragen stellen sich heute noch, vielleicht dringlicher als damals. Zu dieser größeren Dringlichkeit passt, dass die medialen Reaktionen auf die Suhrkamp- Krisen immer heftiger geworden sind, sie geradezu hysterische Ausmaße angenommen haben. Es gibt zwar einerseits einen gewissen Überdruss, sich stets aufs Neue mit dem Kampf der beiden Suhrkamp-Gesellschafter zu befassen, also dem Gerangel zwischen der Familienstiftung, der die Verlegerin vorsteht, und dem Minderheitsanteileigner Hans Barlach. Andererseits wird dieser Kampf zur Topnachricht auf Seite 1 der Tageszeitungen und Thema von Leitartikeln auf den Meinungsseiten, wie in der vergangenen Woche nach der Verkündung des Antrags auf ein Schutzschirmverfahren geschehen. Es stehe „kulturell viel auf dem Spiel“ heißt es dann, um nicht gleich zu sagen, dass die Kulturnation Deutschland in Gefahr schwebe. Zu retten sei, so der Noch-Hanser-Verleger und Suhrkamp- Autor Michael Krüger in einem Interview, „ein in der europäischen Verlagsgeschichte einmaliges Kunstwerk“.

Geht es nicht eine Nummer kleiner? Steht kulturell wirklich so viel auf dem Spiel, wenn der Suhrkamp Verlag das Zeitliche segnet? Oder, was ja wahrscheinlicher ist, er eine andere Unternehmensstruktur bekäme, ein schlankerer, vor allem stärker nach ökonomischen Kriterien arbeitender Verlag würde? Schon in den früheren Krisen wurden stets die Suhrkamp-Meriten der sechziger und siebziger Jahre beschworen: Dass Suhrkamp der Verlag der linken Intelligenz, der klassischen Moderne sei, der Theorie-Verlag schlechthin, und natürlich der von Brecht und Hesse, von Johnson, Frisch, Walser, Beckett, Proust und wie sie alle heißen.

Auch heute wird diese Platte immer wieder auf die – inzwischen ja selbst kaum noch existierenden – Plattenspieler gelegt (Noch so ein Untergangsmedium: Save the vinyl!). Ohne Unterlass wird auf die große Suhrkamp-Tradition verwiesen, nicht zuletzt in jeder Mitteilung, die aus dem Hause Suhrkamp von der Unseld-Berkéwicz-Seite kommt.

Nur scheint dieser Tage die Sehnsucht nach der großen alten Suhrkamp-Zeit viel stärker ausgeprägt als zum Beispiel vor 20 Jahren. In dieser ach so guten, alten Zeit wurden noch, eben von der Kultur ausgehend, gerade von der Suhrkamp-Kultur und ihren angeschlossenen Theorie-Ressorts, gesellschaftlich relevante, womöglich gesellschaftsverändernde Debatten ausgetragen. Da schaute man noch auf die Institutionen der Hochkultur, zum Beispiel auf die Staatstheater, da besaßen diese noch Leuchtturm-Charakter – anders als heute, da sie in vielen unterschiedlichen, zum Teil von einer großen Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Nischen ihr Dasein fristen.

Kultur ist heute alles und nichts, vor allem aber dient sie ausschließlich kapitalistischen Interessen. Und wie merkte Siegfried Unseld in dem besagten „Spiegel“-Interview an: „Tatsache ist, dass es die ganz großen Debatten nicht mehr gibt.“

Die Verlegerwitwe Ulla Unseld-Berkéwicz hat dieser Sehnsucht nach der guten alten Zeit gezielt Nahrung gegeben. Stets beschwor sie den Geist, der auf das Kapital pfeift, der von diesem nicht instrumentalisiert werden möchte. In ihrer frühen Amtszeit war sie deshalb viel Häme und vielen Anfeindungen ausgetzt, man warf ihr vor, auf diese unzeitgemäße Weise den Verlag runterzuwirtschaften. Die Ironie ist, dass nun kein großer Konzern, sondern der „Heuschrecken“-Kapitalist Hans Barlach die Suhrkamp-Verlegerin als die wahrhaft Gute aussehen lässt. Sie ist diejenige, die auf der richtigen Seite steht: der des Geistes, der Tradition, der Bewahrung, und alle finden es gut.

Die übertriebene, aus dem Kulturbetrieb kommende „Sorge um Suhrkamp“ hat viel symbolischen Charakter. Dahinter versteckt sich auch die Sorge um die eigene Bedeutung. Aus den Seite-1-Aufmachungen der „Frankfurter Allgemeinen“ und der „Süddeutschen Zeitung“ („Suhrkamp in Not“) vom vergangenen Dienstag schwang womöglich auch Alarm in eigener Sache mit. Das Printzeitungswesen befindet sich im Umbruch, die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Mit nach wie vor ungewissen Profitaussichten, aber auch bezüglich der Deutungshoheit über Veränderungen in der Gesellschaft. Sind Zeitungen nicht kleine, täglich zustande kommende Kunstwerke?

Zudem steht der Kampf bei Suhrkamp mitsamt der öffentlichen Sorge darum stellvertretend für das Bemühen aller Buchverlage, Antworten auf die Digitalisierung zu finden, sich erfolgversprechend in der digitalen Welt anzusiedeln: Auf dass man nicht überflüssig werde! Dabei sind paradoxerweise viele der jüngsten Aufregerdebatten weiterhin durch Gedrucktes ausgelöst worden, durch ein Grass-Gedicht, ein Helene-Hegemann- Büchlein, ein Thilo-Sarrazin-Pamphlet, ein Buschkowsky-Buch.

„Wie soll ein Verlag von heute sich dazu verhalten?“, hat der zukünftige Hanser-Verleger Jo Lendle letztes Wochenende auf der „Litfutur“-Konferenz der Uni Hildesheim vor dem Hintergrund der Digitalisierung gefragt. „Warum springt er nicht selbst auf und wird zu einem Verlag von morgen?“ Die Antwort hat er sich gleich selber gegeben: „Der heutige Verlag wird kein Verlag von morgen. Aus Unbeweglichkeit. Und, so romantisch und naiv das klingt, weil er an etwas anderes glaubt. An Zusammenrottung, an Gemeinsamkeit. An Auswahl. Verlage sind stolz auf diese Filterfunktion. Das macht sie nicht sympathischer. Die Orientierung erleichtert es trotzdem.“

Lendles Fazit ist ambivalent. Es schwankt zwischen dem Wissen um die Überflüssigkeit von Verlagen angesichts der Möglichkeiten, die Autoren im Internet haben, und dem Aufbegehren dagegen, dem Anpacken der neuen Aufgabe, wenigstens „Edeldienstleister“ zu sein: „Wir werden uns anstrengen müssen.“ Der Suhrkamp-Verlag, der mehr noch als andere Verlage auf dieser Idee von Zusammenrottung und Gemeinsamkeit basiert, ist davon nicht ausgenommen, was immer auch in diesem Suhrkamp-Krisensommer und dem unweigerlich folgenden Krisenwinter noch passieren wird.

Ja, ohne Frage: Gern würde man sich auch in den nächsten Jahren durch 160- seitige, jedem unternehmerischen Kalkül spottende Verlagsvorschauen kämpfen und überhaupt einen Zaun um den Verlag in der Pappelallee ziehen mit einem Schild dran: Hände weg, Markt! Doch geht die Kulturwelt nicht unter, wenn dort bald nur noch die Hälfte oder gar ein Drittel an Titeln erscheint. Man schaue sich Traditionsverlage wie S. Fischer, Rowohlt oder Hanser an – hier wird auf Qualität genauso wie auf Wirtschaftlichkeit geachtet. (Zumal es auch bei Suhrkamp Schrott gibt)

Und es ist ja nicht so, als gäbe es keine anderen Verlage, die Theorie und Diskursliteratur veröffentlichen würden. Sie haben nur nicht die Größe und Strahlkraft von Suhrkamp. Gleichermaßen Independent-Verlag und Buchkonzern zu sein, wie die „taz“ Suhrkamp beschreibt, ist ein Widerspruch in sich, kein lebensfähiges Verlagsmodell. Und als Kunstwerk zu gelten, mag schön und gut sein – die Konsequenz ist das Museum. Aber da gehört ein lebendiger Verlag nicht hin.

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