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Kultur: Superman im Altenheim

Globale Perspektiven: Das New Yorker Whitney-Museum erlaubt sich einen provokanten Blick auf den „American Effect“ in der Welt

Manhattan brennt. Die beiden Türme des World Trade Centers stehen in Flammen, und an allen Ecken und Enden der Insel zwischen Hudson und East River lodert es. Den Himmel beherrschen silbern glitzernde japanische Kampfflieger in einer Formation, die das Unendlichkeitszeichen nachbildet. „Ein Bild eines Luftangriffs auf New York City“ hat der japanische Künstler Makoto Aida sein Werk genannt. „Ich unterstütze Attacken auf Amerika nicht“, lässt Aida im Begleittext wissen und fügt lakonisch an, „aber dieses ist ein Image, das mir durch den Kopf ging.“

Lawrence Rinder gibt zu: „Es hat mich schon ein bisschen nervös gemacht, aber meine Aufgabe ist es nicht zu zensieren. Das Bild ist einfach eine technisch brillante und emotional kraftvolle Arbeit, das in diese Ausstellung gehört.“ Rinder zeichnet als Kurator verantwortlich für die provokante Schau „The American Effect – Global Perspectives on the United States, 1990-2003“, die das New Yorker Whitney-Museum noch bis zum 12. Oktober beherbergt. 47 Künstler und Filmemacher aus 30 Ländern zeigen ihre Außenansichten der letzten Supermacht des 21. Jahrhunderts.

Nur wenige Werke sind so drastisch wie das des Japaners Aida. Die meisten sind kritisch, ironisch, bisweilen überraschend und manchmal von schlichter Bewunderung. Vor allem aber zeigen sie, dass die Welt eben nicht so schwarz-weiß sieht, wie es die Mächtigen in Washington gern behaupten. „Uns wird eingetrichtert, man sei entweder für uns oder gegen uns“, sagt Rinder, „aber was weder diskutiert noch verstanden wird, ist, dass man auch beides sein kann – oder gar nichts. In gewisser Weise demonstriert die Ausstellung diese komplexe Realität.“

Bei seinen Recherchen, die Rinder ein Jahr lang kreuz und quer über den Globus führten, stieß er auf spannende Kunst und nicht minder interessante Untersuchungen. So besitzen zum Beispiel gerade 14 Prozent aller US-Amerikaner einen Reisepass – und noch weniger benutzen ihn. „Nach den Anschlägen des 11. September waren viele überrascht, welche Gefühle unser Land in der übrigen Welt auslöst. Es war nicht nur ein tragischer, sondern auch ein intellektueller Schock“, sagt Rinder. Seitdem habe zumindest bei einem Teil der Amerikaner eine Seelen-Suche eingesetzt. Der Versuch, die eigene Rolle in der Welt besser zu verstehen und aus der selbstgewählten Isolation herauszutreten.

So wenig der Kurator die Ausstellung als direkten Kommentar zum 11. September verstanden wissen will, so sehr waren die Terroranschläge indirekt Katalysator für die Schau. Bei seinem Auftrag, alljährlich die besten amerikanische Arbeiten zusammenzustellen, stieß Rinder immer wieder auf Werke, die unberücksichtigt blieben, weil das Whitney-Museum nur Kunst akzeptierte, die entweder von einem US-amerikanischen Staatsbürger geschaffen wurde oder im Land entstanden war. Erst als sich die Frage stellte, wo der Hass herkommt, der die mörderischen Taten motiviert, stieg auch die Bereitschaft, sich neuen Ideen zu öffnen.

Die „New York Times“ spricht als „stimulierende und manchmal schockierende Schau“. Unterm Strich gibt die „Times“ der Ausstellung positive Noten. Auch die anderen New Yorker Medien reagieren erstaunlich gelassen, nur das konservative Boulevard-Blatt „Daily News“ versuchte, einen Lokal-Skandal anzuzetteln. Auf dem Titel echauffiert es sich über ein Bild des chinesischen Malers Zhou Tiehai, das New Yorks ehemaligen Bürgermeister Rudolph Giuliani im Stile des Sozialistischen Realismus als großen Führer zeigt – eingerahmt von zwei prächtigen Haufen Elefantendung. Die Anspielung auf einen Vorfall 1999, bei dem Giuliani wegen einer in seinen Augen unkünstlerischen Verunreinigung gleichen Ursprungs ein Werk für die Ausstellung „Sensation“ im Brooklyn Museum of Art zensiert hatte, war jedoch nicht geeignet, dauerhafte Wellen zu schlagen.

Von anderer Seite habe es keine Zensur-Versuche gegeben, beteuert Rinder. Die Reaktionen der Zuschauer schätzt er zu 95 Prozent als positiv ein. Die Auswertung ihrer schriftlichen Kommentare steht noch aus. Auszüge davon sollen auf der Web-Seite des Museums veröffentlicht werden.

Zu den kontroversen Arbeiten gehören mit Sicherheit die Bilder des Japaners Hisashi Tenmyouya, der kaum weniger martialisch als Makoto Aida seinen Gefühlen Ausdruck verleiht. In „Bush vs bin Laden“ stellt er US-Präsident George W. Bush im Stile alter Meister als blutrünstigen Mörder Osama bin Ladens dar. Der Südkoreaner Yongsuk Kang lenkt mit dokumentarischen Schwarz- Weiß-Fotografien die Aufmerksamkeit auf die dramatischen Folgen von 50 Jahren amerikanischer Bombentests in seinem Land. Und als höchst ästhetische Farbbilder hat die chinesische Fotografin Danwen Xing Computermüll komponiert, der Abwasserkanäle, Flüsse und Seen in der Südprovinz Guangdong verseucht. Dorthin wurden allein im Jahr 2002 über 10 Millionen amerikanische Computer verschifft, um entsorgt zu werden. Die nicht zu recycelnden Teile verschmutzen dort mittlerweile die Umwelt.

Einen ironischen Blick erlaubt sich der Franzose Gilles Barbier, der in seiner Installation „Nursing Home“ (Altenheim) die Comic-Stars Superman, Catwoman, Incredible Hulk und andere als erschöpfte, gebrechliche Kreaturen darstellt, die bei laufendem Fernseher das Ende ihrer Tage erwartet. Als ausgesprochen skurril dürften den amerikanischen Betrachtern die Fotografien erscheinen, die der Düsseldorfer Max Becher und seine US-Kollegin Andrea Robbins auf einem Treffen deutscher Indianer-Fans gemacht haben. Die teutonischen Gesichter wirken in den mit leidenschaftlicher Akribie selbst angefertigten Kostümen der amerikanischen Ureinwohner seltsam deplatziert und gleichzeitig voller anrührender Ernsthaftigkeit.

Er könne nicht einschätzen, welchen Eindruck die Besucher mit nach Hause nähmen, sagt Rinder. Wichtiger wäre dem Kurator jedoch eine andere Erkenntnis: „Wir müssen endlich erwachsen werden und erkennen, welch enormen Einfluss wir haben - um ihn verantwortungsvoll zu nutzen.“

Noch bis 12. Oktober, Whitney Museum New York, Infos unter www.whitney.org

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