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Immer auf der Suche nach „1 a Blogstoff“. Sven Regener, 50.

© Charlotte Goltermann/promo

Sven Regeners Hamburg-Heiner-Buch: Was soll ich denn jetzt wieder schreiben?

Der Schriftsteller und Musiker Sven Regener ist unter die Blogger gegangen und hat Logbücher verfasst. Eine Begegnung.

Das Schöne an einem Treffen mit Sven Regener ist, dass es mit ihm immer schnell zur Sache geht. Da sitzt Regener also an einem Dienstag im Februar auf dem abgewetzten Sofa eines Ladens namens „An einem Sonntag im August“ in der Kastanienallee, wie stets im Lacoste-T-Shirt, dieses Mal in einem schwarzen, und zwar im Raucherzimmer, einen Tee vor sich, aber keinen Aschenbecher, im Hintergrund läuft laut irgendein fieser Deutschpop.

Kaum hat man ihn begrüßt, fragt er, wie die Lage so ist beim Tagesspiegel, um ohne Umschweife darauf zu kommen, dass sich das Leseverhalten, die Medienrezeption zwar verändert habe, aber sich niemand ernsthafte Sorgen machen müsse: „Tut mir leid, ich sehe da kein Problem mit den E-Books, die verdrängen das gedruckte Buch keineswegs, und gedruckte Zeitungen wird es in Zukunft genauso geben wie bisher.“

Und schon hat er ein „gutes Beispiel“ parat, um seine Aussage zu untermauern. Er erzählt von einem befreundeten Fernsehjournalisten, der es in Ordnung fand, in einem Internetblog von Regener auf einem Foto gezeigt zu werden. Der sich aber beklagte, dass das Foto dann auch ungefragt in Regeners dazugehörigen Buch erschien: „Die Wahrnehmung von Papier, von Schrift auf Papier, ist eine andere, das hat ein ganz anderes Gewicht, da können die Leute erzählen, was sie wollen. Das ist mein Brot und Butter seit ewig und drei Tagen. Selbst diese Scheißfotos haben anscheinend gedruckt ein anderes Gewicht als im Internet.“

Die „Sache“ nämlich, um die es an diesem Vormittag geht, ist die Transformation von Regeners Internetblogs seit 2005 in ein Printerzeugnis, ein Buch mit dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg- Heiner. Logbücher“. Die Blogs schrieb Regener auf Anfrage diverser Medien, für die Onlineausgaben des „Spiegels“, der „taz“, des österreichischen „Standards“ oder für Popmusikportale; gemacht hat er das aus Spaß oder um ein neues Album oder eine Tour seiner Band Element Of Crime zu promoten. Sven Regener betont, dass es ihm vom ersten Blog an nicht darum gegangen sei, ein Tagebuch zu schreiben, so wie einst Rainald Goetz, oder Werkstattberichte aus dem Leben eines Schriftstellers zu liefern. Die Blogs waren immer auf einen kurzen Zeitraum begrenzt, maximal vier Wochen. „Ich gebe gern zu, dass schon beim ersten Blog 2005 nach zwei, drei Tagen die Luft raus war und ich mich fragte: Was soll ich denn jetzt wieder schreiben?“

Weil es ihm schlichtweg zu langweilig wurde und auch, um „über schwache Tage zu kommen“, ließ Sven Regener sich die Figur des Hamburg-Heiners einfallen, die jetzt auch das Blogbuch gewissermaßen trägt und in ein eigenes, fiktives Recht setzt. Tatsächlich dürften gerade die Fans von Regener und Element Of Crime enttäuscht sein, die sich von diesem Buch eine Art Autobiografie oder zumindest viel privaten Klatsch und Tratsch erwartet haben. Von Regener selbst oder den typischen Reibereien auf einer Tour erfährt man wenig, auch Kommentare zum Weltgeschehen gibt es kaum: „Ich wollte in den Blogs nicht dauernd ,Ich‘ sagen, Meinungen zu bestimmten Themen rausblasen und mit mir selbst eine Debatte führen, zum Beispiel zum Afghanistankrieg oder zur Servicewüste Deutschland. Zu so einer Ich-und- mein-Über–Ich-Geschichte hatte ich keine Lust“. Dafür ist Sven Regener zu scheu. Und viel zu sehr Schriftsteller, der „genuine Kunstwerke“ schaffen will, „Sachen, die so vorher nicht in der Welt waren und nicht einfach aus der Realität abgemalt sind“. Sein Buch zeigt dann auch die Qualitäten, die man von Regeners drei Lehmann-Romanen her kennt.

Die Dialoge mit Hamburg-Heiner, der immer, wenn es brenzlig wird (oder Regener keine Lust mehr hat) aus Hamburg anruft, um den Sven zur Raison zu rufen, ihn vor dummen Witzen abzuhalten oder sonst wie auf ihn einzuwirken, sind große Klasse und stilistisch ausgefeilt, für Regener gar Ausdruck „für das grundsätzliche Ringen um die Kunst“. Einmal fragt Regner sein Gegenüber: „Wieso Twitterei? Das ist 1 a Blogstoff“. Und Hamburg-Heiner antwortet: „Nix, das ist Twitterei ganz unten. Wir wollen doch die Regeln einhalten. Auch die des guten Journalismus. Wer, wo, wann, wie, warum, das sind die Fragen.“ Oft sind die Dialoge lustig und daneben, illustriert mit betont amateurhaften Fotos, manchmal aber auch nur bloßer Nonsens, „aber selbst das muss man erst mal hinkriegen, das macht ja sonst keiner“, so Regener.

Trotzdem täuscht der regelmäßige Infight mit Hamburg-Heiner nicht darüber hinweg, dass das Blogschreiben, so es keinem größeren Mitteilungs-, Diskussions- oder Meinungsdrang geschuldet ist, auch öde vor sich hinzuckeln kann. In „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ steckt manches Überflüssige, das sich nur schwer als verstärkter Kunstwille oder Literarizität euphemisieren lässt, nicht einmal als Kleinkunst. An einem Tag schreibt Regener, er habe Angst, „irgendwas geschrieben oder nicht geschrieben zu haben, was nicht hätte geschrieben oder nicht hätte nicht geschrieben werden dürfen. Das nimmt dem Bloggen jede Spannkraft.“

Ein Satz wie dieser demonstriert Sven Regeners Skrupel – und seine Scheu vor Öffentlichkeit, die nicht nur sein Blogschreiben charakterisiert. Die Kommentare auf seine Einträge hat er nur zögernd zur Kenntnis genommen, erstaunt darüber, wie seltsam die waren, was für ein Eigenleben die führten, zu was für Querverbindungen es da kam. Ein Grund, auf sie einzugehen, ihnen gar zu antworten, die Schnelligkeit des Mediums Internet zu nutzen, war das für Regener aber nicht. Dafür kreist er zu gern um sich selbst und sein Schreiben.

Auf Distanz gehe er überhaupt gern, erzählt er später. Bei Lesungen signiert er im Anschluss keine Bücher, und auf Konzerten hat er zwar kein Problem mit einem großen Publikum, auch mit einem seiner Band eher negativ eingestellten. Aber als er neulich in Prenzlauer Berg in einer Wohnzimmer-Bar war, in der auch eine Band spielte, auf Augenhöhe vor einem kleinen Kreis von Leuten, spürte er einmal mehr: „Das ist nichts für mich, das ist mir zu nah.“

So wundert man sich am Ende gar nicht mehr, dass Sven Regener während des Gesprächs keine einzige Zigarette geraucht hat. Er rauche schon länger nicht mehr, sagt er, aber hier im Raucherzimmer bei der lauten Musik sind ihm Interviews lieber als drüben bei den Nichtrauchern oder in einem rauchfreien Café: „Hier ist man ungestörter. Ich habe das nicht so gern, wenn jemand nebenan mithört.“ Dann lacht er feixend, obwohl er das ganz ernst meint, und verabschiedet sich zu seinem nächsten Termin: mit einem jungen Mann, der aus seinem Herr Lehmann eine Comicfigur macht.

Sven Regener: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher. Galiani Berlin, Berlin 2011. 420 S., 19, 95 €. Sven Regener liest am 13. Mai, 20 Uhr, im Babylon-Mitte.

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