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Was zum Rauchen in Kistchen. Blick in das neu gestaltete Tabakcollegium im Schloss Oranienbaum.

© Kulturstiftung DessauWörlitz

„Tabakcollegium“ im Schloss Oranienbaum: Reich durch Rauchen

Im Park von Schloss Oranienbaum dufteten einst Orangenbäume. Geld verdiente die holländische Fürstin Henriette aber mit Tabak. Eine neue Dauerausstellung beleuchtet das einträgliche Geschäft

„Denkend an Holland“, schrieb der niederländische Dichter Hendrik Marsman, „seh ich breite Flüsse träg durch endloses Flachland gehn. Reihen unglaublich schlanker Pappeln wie hohe Federn am Horizonte stehn.“

Jeder Niederländer kennt zumindest diesen Anfang von dem Gedicht. Aber den Besuchern von Oranienbaum im sogenannten Gartenreich Dessau-Wörlitz, seit 2000 Unesco-Weltkulturerbe als einzigartige Einheit aus Natur, Kunst und Architektur, werden womöglich andere Assoziationen einfallen. Holland ist dann nicht länger ein Land mit Flüssen und Pappeln, sondern wird, überraschenderweise, das Land von Zitrusbäumen und Tabak.

Beides ist das Erbe von Henriette Catharina, Prinzessin aus dem Haus Oranien-Nassau. Nachdem sie 1659 Gemahlin des Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau wurde, hat sie viele Kunstwerke ihrer reichen Familie aus Den Haag nach Osten geholt. Außerdem beauftragte sie den holländischen Baumeister Cornelis Ryckwaert, in der flachen, armen Region Anhalt ein kleines Stück Holland zu bauen, in der Nähe des Dorfes Nischwitz. Johann Georg hatte es seiner Ehefrau geschenkt. Das Ergebnis? Das Schloss und die Stadt Oranienbaum entstanden.

Ryckwaert hat dem neuen Teil der Stadt ein symmetrisches Straßennetz verordnet. Ein breiter Weg führt zu einem zentralen, quadratischen Platz. In seiner Mitte thront auf einem Sockel eine große Vase mit einem schmiedeeisernen Orangenbäumchen. Seine goldenen Früchte schimmern in der Sonne. Die echten Früchte findet man im weitläufigen Park hinter dem Schloss. Im Sommer verbreiten Orangenbäume, das Symbol der Familie Henriette Catharinas, ihren betörenden Duft. Auch Zitronen blühen dort.

Die ersten Pflanzen kamen aus Holland

Weniger bekannt ist die Rolle des Tabaks. Nach dem Tod ihres Mannes 1693 entschloss sich Henriette Catharina, dauerhaft im Schloss zu wohnen. Aber wovon sollte sie bloß das Geld dafür nehmen? Der Tabakanbau gerät in den Fokus. Familienmitglieder machten damit schon gute Erfahrungen.

Um 1610 begannen holländische Bauern damit, Tabak anzubauen. Damit das empfindliche Gewächs auch im raueren Klima gedeiht, nutzten sie warmem Pferdemist zum Düngen. Als natürlichen Schutz vor Wind pflanzten sie Stangenbohnen in Reihen. Händler, die sich vom Import aus wärmeren Regionen unabhängig machen wollten, unterstützten diese Versuche finanziell. „Tabak ist das einzige Produkt, das im 17. Jahrhundert in den Niederlanden ständig steigende Wirtschaftszahlen hat“, sagt Wolfgang Savelsberg, Leiter der Abteilung Schlösser und Sammlungen der Kulturstiftung DessauWörlitz.

Schloss Oranienbaum wird Stück für Stück ausgebaut. Im äußeren weißen Kavaliershaus befindet sich das Tabakcollegium.
Schloss Oranienbaum wird Stück für Stück ausgebaut. Im äußeren weißen Kavaliershaus befindet sich das Tabakcollegium.

© Jan Woitas/dpa

Fürstin Henriette Catharina überlegte nicht lange und verlieh dem ersten Landwirt in Oranienbaum das Privileg zum Tabakanbau. Bald zogen andere Bauern nach. Die Pflanzen wurden zunächst aus Holland importiert. Henriette Catharina starb 1708, doch sie hatte mit der Verbreitung von Tabak eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte begründet, an der die meisten Oranienbaumer Familien noch lange Anteil hatten.

Im soeben restaurierten nördlichen Pavillon des Schlosses können Besucher nun in diese spannende Geschichte eintauchen. Eine Dauerausstellung im „Haus des Sammlers“, einem fiktiven privaten Ambiente, zeigt unter dem Motto „Tabakcollegium“ rund 1000 Utensilien: Tabakpfeifen, Dosen, Kisten, Zigarrenpressen. Viele dieser Objekte haben Bewohner des Ortes beigesteuert. Schließlich verdienten sich einst die meisten Oranienbaumer Familien mit der Arbeit rund um den Tabak ihren Lebensunterhalt.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Geschäft kaum noch rentabel

Mitte des 18. Jahrhunderts war die Region um Oranienbaum zum bedeutenden Tabakproduzenten geworden. Die überregionale Verbreitung war jedoch stark abhängig von den Zöllen: Deutschland war damals ein kleinstaatlicher Flickenteppich mit vielen Grenzen. Vor allem Kursachsen, das ehemalige Kurfürstentum Sachsen, hat jahrzehntelang versucht, die inländische Tabakkultur gegen den Wettbewerb der Oranienbaumer Bauern zu schützen. Alle haben jedoch die Tabaksteuer bewusst für ihre Handelspolitik eingesetzt. Auch die Oranienbaumer Tabakbauern selbst. Sie forderten zum Beispiel von der Anhaltischen Behörde Maßnahmen gegen den billigen Blatttabak aus dem Brandenburgischen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Geschäft in Oranienbaum kaum noch rentabel. Der Handel litt unter den preußischen Zollbestimmungen. Als sich Anhalt 1834 dem preußischen Zollverein anschloss, hatte dies eine zweischneidige Wirkung. Die Bauern wurden mit einer nach Fläche und Ertrag ermittelten Steuer belastet.

Der Wegfall der Zollschranken begünstigte Amerika. Die getrockneten Tabakblätter aus Übersee wurden in Europa zunächst fürs beliebte Schmoken benutzt. Alte Pfeifenköpfe und Pfeifen aus Porzellan, Keramik, Holz oder Horn zeugen in der Ausstellung davon. Lange holländische Tonpfeifen waren damals sehr in Mode. In einem der kleinen exquisit gestalteten Alben, die die Ausstellung durch die Räume begleiten, hat eine Künstlerin etliche dieser  Pfeifen gezeichnet.

Ab 1965 wurde nur in Dresden gefertigt

Doch dann begann der Siegeszug der Zigarre. Die Oranienbaumer Fabriken profitierten stark davon. 1867 existierten in der Stadt 15 größere und kleinere Tabakfabriken, 1898 stieg ihre Zahl auf 24. In einem Zimmer des „Sammlerhauses“ steht der Besucher beeindruckt vor den vielen Varianten der Zigarren und Holzkistchen unterschiedlichster Hersteller. Die beiden ältesten Betriebe waren Ephraim Schulze und Gaudig, später Gaudig & Friedrich. Das Ende des 19. Jahrhunderts war die Blütezeit der Tabakproduktion in Oranienbaum. In den damaligen Tabakfabriken arbeiteten zeitweilig mehr als 160 Arbeiter. Hinzu kamen zahlreiche Heimarbeiter, die zu Hause nebenher Zigarren rollten.

Oft waren das Frauen: So konnten sie auf ihre Kinder aufpassen und gleichzeitig etwas Geld dazuverdienen. In etwa jedem dritten Haushalt wurde das Geld mit Tabak verdient. Viele Geräteund Utensilien in der Ausstellung zeugen zudem davon, dass bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Tabakprodukte vorweigend in Handarbeit gefertigt wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen Oranienbaumer Firmen, Zigaretten herzustellen. Viele Fabrikanten wurden jedoch aus der Stadt vertrieben – nach offizieller Begründung wegen hoher Steuerschulden. Nach 1965 wurde die verbliebene Fertigung nach Dresden verlegt. Nun war das Ende der von Henriette Catharina begonnenen Tabakpflanzungen in Oranienburg besiegelt.

Die Ausstellung ist eine spannende Gelegenheit, sich dieser Tradition zu nähern. Doch sie bietet auch einen guten Anlass, das Schloss selbst mal wieder zu besuchen und den Fortschritt der Restaurierungen zu begutachten. Selbst Prinzessin Beatrix hat das schon getan, zweimal war sie, damals noch Königin der Niederlande, zu Gast in Oranienbaum.

Im Flügel gegenüber des Tabakcollegiums hat der Glasdesigner Bernard Heesen seine Version eines Spiegelsaales aufgebaut. Auf einem langen Tisch stehen gewaltige Kristallglasobjekte, die er zum Teil von Trödelmärkten bekommt, verfremdet und mit eigener Glaskunst ergänzt. Entstanden ist ein Saal, dessen Wände mit Spiegeln und Kartuschen aus dunklem Glas beeindrucken. Das ist royale Eleganz.

Marc Leijendekker

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