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Kultur: "Täglich Brot": Fünf Personen suchen einen Ausweg

Der Tag beginnt, und die Menschen kontrollieren sich: "Das ist das Gesicht, mit dem ich raus muss. Ein wenig mehr anders irgendwie wär besser.

Der Tag beginnt, und die Menschen kontrollieren sich: "Das ist das Gesicht, mit dem ich raus muss. Ein wenig mehr anders irgendwie wär besser." Fünf Personen starten in ihren Alltag, fünf Personen kämpfen mit und für sich. Schwer war es wohl zu allen Zeiten und in jeder Gesellschaft für das Individuum, sich selbst zu finden. Weshalb das harte Brot der Identitätssuche dem Theater immer wieder neues Bühnenfutter bietet.

Gesine Danckwart verschränkt in "Täglich Brot" Denken und Wahrnehmungen von fünf Menschen, die in unserer modernen Arbeitswelt "etwas aus sich machen" wollen. Menschen auf Sinn-Suche also, dazu eine unangestrengte Auseinandersetzung mit dem Bild des flexibilisierten, allseitig verwendbaren und individuell entfremdeten modernen Individuums.

Monologe in der Schwebe

Irgendwie haben sie alle Probleme, vor allem mit sich, weniger mit den anderen. Und irgendwie fühlen und leben all diese Figuren in Danckwarts sechs bisherigen Stücken ganz real in unserer Zeit, also in einer schwebenden "Ungefähren". Die 1969 geborene Autorin, die lange das von ihr mitgegründete Theaterdock geleitet hat, eine Spielstätte für freies Theater und neue Stücce in Berlin-Moabit, hat sich als Dramatiker-Nachwuchshoffnung etabliert. Danckwarts Personen unterhalten sich im Grunde ausschließlich, indem sie monologisieren. Wobei die Stücke der Dramatikerin als flächig musikalische Partituren daherkommen. Sie werden gespielt zwischen Zürich und Düsseldorf und meist von Danckwarts Stammregisseur Al Khalisi uraufgeführt. Der hat es zu einer gewissen Perfektion gebracht, Danckwarts Widerhaken-Texte als szenisches Rauschen und Raunen über flirrender Oberfläche darzubieten. Damit gibt er ihnen Wirkung, aber mehr nicht.

"Täglich Brot" ist eine Auftragsarbeit - in einer Koproduktion zwischen dem Theaterhaus Jena und dem Dresdner Theater in der Fabrik, zu denen sich noch die Berliner Sophiensäle und das Hamburger Thalia Theater gesellten. Diese neue Art der Autorenförderung, bei der das Stück während der Proben weiterentwickelt wird, hat dazu geführt, dass Danckwarts Text eine neue Tiefenschärfe gewinnt. Zum anderen war es endlich einmal möglich, die Schauspieler gezielt aus- und zusammensuchen. So steht nun ein Ensemble auf der Bühne, das jedem größeren Stadttheater zur Ehre gereichen würde.

Als die ursprünglich vorgesehene Regisseurin mit dem wegen seiner Einfachheit so vertrackten Stück nicht zurechtkam, wurde mit Christiane Pohle eine junge Regisseurin bestellt, die erst kürzlich gerade mit einer spielerischen Hamburger "Drei-Schwestern"-Zeitgeist-Version (auch beim umjubelten Gastspiel in den Sophiensälen) Furore gemacht hat. Ein weiterer Glücksfall für die Aufführung. Was Christiane Pohle mit "Täglich Brot" auftischt, ist vor allem Theaterspiel. Ein flirrend leichtes Gewebe der tieferen Bedeutungen, das von der beiläufig erscheinenden Virtuosität der Darsteller lebt. "Den Tag nehmen" wollen fünf Singles, die sich ansonsten wie die Hamster im Rad der Anforderungen abmühen. "Täglich Brot" ist ein witzig leichtes Spiel mit Wahrnehmungsklischees: Fünf Personen erreden sich ein Bild von ihrem Leben, das bestimmt ist von Arbeitsmonotonie oder Arbeitslosigkeit, von Entfremdung oder Hoffnung, von Einsamkeit und Karrieretraum. Wir sehen keine Außenwelt, sondern wir hören deren Echos aus der Innenwelt der Figuren. Und es erklingt ein dissonantes Stimmenkonzert aus der Mitte unserer Gesellschaft.

Die Karrierefrau (Rosa Enskat mit virtuos abgezirkelten Bewegungen) sucht ihr Leben in Ordnung zu zwingen, der Werbemanager rettet sich in die Großspurigkeit. Eine Studentin (Judica Albrecht!) hofft auf die Wirkung ihrer Jugend, eine Serviererin jammert sich durch die Stupidität ihres Jobs. Und ein Arbeitsloser wandelt zwischen der Rolle des Aussteigers und der eines Propagandisten der dynamischen Arbeitswelt. Alle pendeln zwischen Euphorie und Depression, und unter allem brodelt die Aggression.

Was bedeutsam klingt, wird aber als Kinderspiel gezeigt. Fünf Stühle vor einer Palmenstrandkulisse (Sehnsucht!) im knöcheltiefen Wasser (Ausstattung: Esther Bialas). Die Kleidung fällt vom Himmel, und während die Fünf sich anziehen, rücken sie vor oder müssen zurück. Nur selten kreuzen sich die Gedanken, noch seltener die Figuren. Wie hier in nur eineinviertel Stunden unserer beschleunigten Welt der Bühnentakt geschlagen wird, das besitzt in seiner scheinbaren Oberflächlichkeit mehr Tiefe als alle Pancomedien älterer Zeitgeist-Dramatiker. Gesine Danckwart hat einen leichtfüßig witzigen Text geschrieben, Christiane Pohle hat ihn in einen sehenswertes Theaterabend verwandelt.

Hartmut Krug

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