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Tägliche Serie, Folge 3: Kulturcheck - ein Londoner testet Berlin, heute: Knacker und Kunstindustrie

Das Berlin-Experiment geht weiter: Mark Espiner vom „Guardian“ ist zwei Wochen beim Tagesspiegel zu Gast und bespricht online jeden Tag Berliner Kulturereignisse. Diesmal geht er zum Tanzen.

Frank hat mir eine Email geschickt und geschrieben, „als weitere Wurstsorte sollen hier Knacker genannt werden“, und Patricia empfahl mir per Email die Fleischerei Staroske zu probieren. Das war nicht schwierig. Sie liegt schräg gegenüber vom Tagesspiegel in der Potsdamer Straße. Sie hat das bestimmt gewusst. Wie aufmerksam!

Wie auch immer, ich ging zu Staroske und fragte nach Knackern. „Wie soll ich sie essen“, fragte ich. Wie immer sie mögen, antwortete die freundliche Fleischerin. „Was denn, sogar roh?“ – „Ja, Sie können sie kochen oder braten – oder sogar roh essen, wenn Sie mögen.“ Nun ja, das klang doch ein wenig merkwürdig. Das Risiko wollte ich nicht eingehen. So bin ich nach einem langen Kulturtag in Berlin zurück in meine Wohnung gegangen und habe die Wurst gebraten. Das gab einen wundervollen rauchigen Geruch, und zwar nicht, das möchte ich hier gleich klarstellen, weil ich die Wurst etwa angebrannt hätte. Sie war salzig. Mit Biss. Besser ohne Senf als mit Senf. Sie wirkte ein bisschen hart im ersten Moment, aber sie hatte einen geheimnisvoll gemütlichen Geschmack und das erinnerte mich ein bisschen an Berlin.

In Siegfrieds Email stand, dass ich mir Sasha Waltz und ihr Tanzensemble ansehen sollte, falls ich Karten bekommen könnte. „Jagden und Formen“ im Radialsystem. Ich hatte noch nie von ihr gehört, bekam aber schnell mit, dass Sasha Waltz hier sehr verehrt wird. Eine schnelle Google-Recherche brachte mir ein atemberaubendes Gebäude nahe. Also ging ich hin.

Die frühere Pumpstation beeindruckt mit industriellem Ambiente und dramatischer Lage direkt am Fluss. Kleiner, aber doch ein bisschen wie Londons Tate Modern oder das Roundhouse in Camden, einem alten Lokschuppen. Beide Hauptstädte nutzen alte Industriegebäude für die neue Kunstindustrie.

Die spezieller Berliner "Freundlichkeit"

Ich konnte die Erwartungshaltung im Publikum spüren. Und als ich wartete, um hineinzukommen, sprachen mich zwei sehr nette Berliner an. Jemand hatte ja unter meinem Online-Kulturcheck einen Kommentar hinterlassen, dass ich doch auf die spezielle Berliner „Freundlichkeit“ achten solle. Ich muss sagen, ich bekam hier bislang nichts als Freundlichkeit zu spüren. Und dieses Paar, die sich natürlich bald als Tagesspiegel-Leser zu erkennen gaben, waren charmant und freundlich. Sie haben mich sogar nach der Show nochmal gefunden, um mich nach meiner Meinung zu fragen.

Die Show war super. Ich bin nun kein Tanzkritiker, aber diese Aufführung haute ordentlich rein. Sie war so dynamisch. Körper sprangen durch die Luft, rollten über die Bühne und ein ganzes Orchester spielte dazu. Die Musiker verließen zwischenzeitlich ihre Sitze und tanzten mit. Das war die totale Integration von Tanz, Theater, Musik und Kunst. „Das war ein Höhepunkt“, sagten mir meine neuen Freunde danach. Und es war auf jeden Fall außergewöhnlich.

Vielen Dank nochmal für all die Emails. Ich versuche, alle zu beantworten –  und ich denke immer noch darüber nach, wo ich heute Abend hingehen soll. Vielleicht Filme im Arsenal? Wenn Sie eine bessere Idee haben, schicken Sie mir eine Email. Jetzt muss ich los zum Fleischer ...

Aus dem Englischen übersetzt von Markus Hesselmann.

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