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Kultur: Tagung ohne Titel

Streng geheim, gnadenlos diszipliniert: Auf Schloss Elmau trafen sich die die literarischen Verschwörer der Gruppe 2001

„Gegen dies Manifest sein, heißt Dadaist sein!“, lautete der letzte Satz des „Dadaistischen Manifests“ von 1918. Danach kamen die Unterschriften. Mit dieser selbstwidersprüchlichen Form – wer für das Manifest ist, ist Dadaist, wer dagegen ist, auch – etablierte sich eine Künstlergemeinschaft, die ihre ironische Grundhaltung gegenüber Gruppenbildung in ihr Manifest gleich mit hineinschrieb: the group to end all groups. Dagegen nahm sich nach dem Zweiten Weltkrieg der mild engagierte Realismus der Gruppe 47 bald wie ein Wahlslogan Ludwig Erhards aus: Keine Experimente. Die Gruppe 47 war mit ihren Lesungen, Spontankritiken und dem Literaturpreis ein medialer und kaum ein programmatisch-ästhetischer Knotenpunkt des bundesrepublikanischen Literaturbetriebs, gab diesem aber zwei Jahrzehnte lang ein funktionierendes Zentrum.

Zum dritten Mal traf sich diese Woche im voralpinen Schloss Elmau auf 1100 Meter Höhe ein ansehnliches Konglomerat von Autoren, Kritikern, Verlagsleuten, das in seiner skrupulösen Art der schleichenden Gruppenbildung so rigoros von Normal Null ausgeht, dass man einmal – sollte dem Projekt keine Dauer beschieden sein – vom charmantesten literarischen Betriebs-Phänomen des neuen Jahrtausends sprechen wird. Jedes Jahr neues Spiel, neues Glück: Am Ende wird jeweils rituell abgestimmt, ob man sich wiedertrifft. Bei der beeindruckenden Vitalität der Konferenz war das bislang reine Formsache.

Noch will man alles sein, außer Zentrum. Nicht mal einen Namen trägt diese Ansammlung von 40 Literaturmenschen in der Luftkurzone. Mit Dada-Logik wurde der Antrag auf Selbsttaufe abgelehnt. Allerdings raunt man in der Literaturwelt bereits von der „Elmauer Gruppe“, der „Gruppe ohne Namen“ der „Gruppe 2001“. Die jährliche Konferenz des Geheimbundes, der keiner sein will, hat immerhin einen Titel: „Ohne Titel“.

Schrittchen für Schrittchen tritt die Elmauer Gruppe ins Licht der Öffentlichkeit. Im Frühjahr 2001 durch den Schriftsteller Matthias Politycki („Weiberroman“, „Ein Mann von vierzig Jahren“) ins Leben gerufen, galt zunächst strenges Berichterstattungsverbot. Das war nicht als negativ-dialektische Publicity-Strategie gedacht – obwohl die Schweigepflicht diese Wirkung hatte –, sondern sollte ein diskursives Biotop bewahren. Polityckis geniale Idee war ein Rede-Ritus, von dem bis heute keinen Millimeter abgerückt wurde: Jeder Teilnehmer hält ein genau fünfminütiges Statement über ein beliebiges Thema (einzige Beschränkung: kein rein literarischer Text), das bei Zeitüberschreitung mit einer Glocke rücksichtslos ausgeklingelt wird. Die Redner-Reihenfolge bestimmt jeweils das Los – das garantiert Konzentration. Nach vier Vorträgen, also 20 Minuten, wird eben diese Zeit diszipliniert debattiert. Die Debatte muss aber nicht auf Redebeiträge eingehen: So kristallisieren sich die Themen der „Ohne Titel“-Tagung nach und nach heraus. Eine Vorgehensweise, die Vorzüge von Gruppentherapie und fernöstlichen Logik-Seminaren vereint und Platzhirsch-Syndrome verhindert, wie sie die Gruppe 47 mit der Zeit lähmten.

Letztes Jahr wurde per Abstimmung die Berichterstattung zugelassen, allerdings in Grenzen: Fernsehkritiker Denis Scheck, der wegen Dreharbeiten als Moderator absagen musste, aber mit seinem Fernsehteam kommen wollte, bekam einen Korb. Doch gab es diesmal immerhin ein erstes Gruppenbild.

In der Debatte wurde man der Fragen des Literaturmarktes bald müde. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff („Montgomery“) plädierte für einen literarischen „Geschichts-Durchstich“ durch den thematischen „Damm“, den die Nazizeit für die deutsche Literatur darstelle. Die Literatur könne sich nicht auf Dauer entweder in der je unmittelbaren Gegenwart oder im „Dritten Reich“ einnisten. DVA-Lektorin Christiane Schmidt wünschte sich Literatur, die Emotionen offenlegt, anstatt nur deren Resultate zu zeigen und lokalisierte darin überzeugend die Schwächen jüngster Literatur. Martin Hielscher, Programmleiter bei C. H. Beck, forderte eine Literatur, die die Welt nicht modernistisch verwirft, sondern sich endlich ihrer annimmt. Ein erfreulicher Eindruck: Positionen der Postmoderne haben sich in konkrete konzeptionelle und handwerkliche Fragen ausdifferenziert. So verstanden hieße Postmoderne: Verantwortung übernehmen.

Der Schriftsteller Georg Klein („Von den Deutschen“) sprach sich in einem kühl-flammenden Plädoyer dafür aus, dass die Elmauer Gruppe Verantwortung übernehmen solle. Sein Antrag, einen jährlichen Preis für die schändlichste Tat des Literaturbetriebs auszuloben, wurde zwar abgelehnt – weil die meisten darin die Gefahr einer moralische Überhebung sahen. Aber Klein löste endlich eine heftige Debatte darüber aus, ob man sich in Zukunft bei Bedarf an die Öffentlichkeit wenden solle. Theater-Intendant und Autor Michael Schindhelm hatte schon im Vorjahr gefordert, man müsse die eigene mediale Macht der Gruppe nutzen. Dass die Elmauer sich damit viel Zeit lassen und nicht die kurzlebige Sturzgeburt eines Manifestes riskieren, mag von außen wie „Phlegma statt Dogma“ (so der teilnehmende „Spiegel“-Kulturchef Wolfgang Höbel) aussehen. Aber Abwarten. In der Langsamkeit der Kraftentfaltung, die an der allmählichen Medialisierung der Gruppe 2001 zu beobachten ist, könnte eine kreative Intensität liegen, die noch von sich Reden macht.

Marius Meller

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