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Kultur: Talent kennt keine Grenzen

Alle reden von einer offenen Stadtgesellschaft. Aber für interkulturelle Projekte gibt es in Berlin kaum Geld. Plädoyer für eine andere Kulturförderung / Von Shermin Langhoff

Vor den Wahlen am Sonntag haben wir Berliner Kunstfreunde und Kulturschaffende gebeten, ihre Wünsche an die Kulturpolitik zu formulieren. In unserer Serie äußerten sich Peter Raue, Adrienne Goehler, Gabriele Horn, Hans-Jörg Clement und der Clubbetreiber Steffen Hack. Zum Abschluss schreibt Shermin Langhoff, die das Ballhaus Naunynstraße leitet und 2014 zu den Wiener Festwochen wechselt.

Wer immer künftig in dieser Stadt für die Kulturpolitik verantwortlich sein wird, sie kann nur in dem Maße ernsthaft betrieben werden, wie sie von der gesamten Politik gestützt wird. Und dabei wäre die kulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe neu zu denken.

Uns allen ist bewusst, dass Berlin in der kommenden Legislaturperiode voraussichtlich 400 Millionen Euro pro Jahr einsparen muss. Inflationsrate, Länderausgleich und andere Kompensationsgeschäfte fordern ihren Tribut. Dennoch halte ich die Forderung nach einem Kulturetat, der drei Prozent des Landeshaushalts beträgt, nicht für vermessen. Damit sprächen wir über einen Betrag von rund einer Milliarde Euro. Das mag eine Utopie sein, aber diese Ressourcen würden gebraucht, um die Nachwuchsförderung der freien Szenen ebenso nachhaltig gestalten zu können wie die Arbeit der etablierten Kulturinstitutionen.

Für kulturelle Bildung wäre jedoch nicht allein die Kulturpolitik zuständig, sondern auch die Verwaltung für Bildung und Schulen. Damit käme man im besten Fall zu einem Verständnis von kultureller Bildung, das im Sinne der Aufklärung ästhetische Erziehung meint. Eine Schule der Wahrnehmung, die Codes und Fähigkeiten vermittelt und die wir mehr denn je brauchen für eine offene, plurale, demokratische Stadtgesellschaft.

Wenn wir kulturelle Bildung richtig denken und fördern – in Kooperation von Kultureinrichtungen mit Schulen und freien Gruppen, in Kooperation von Künstlern mit freien Jugendträgern – wäre der Zugang etwa für migrantische Jugendliche ebenso gegeben wie für deutschdeutsche ökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche.

Berlin besteht aus zwölf Bezirken mit je circa 300 000 Einwohnern, aus lauter kleinen Städten also. Aber die Bezirke verfügen kaum noch über eigene Theaterspielstätten – das Ballhaus Naunynstraße ist eine Ausnahme –, und kommunale Galerien werden zumeist geschlossen. Gerade für Bevölkerungsgruppen, die Theater und Kunst nicht von vornherein „auf dem Schirm“ haben, ist die bezirkliche Arbeit eminent wichtig, hier können Menschen schneller und direkter erreicht werden. Doch ausgerechnet hier fehlt es an Ressourcen, ist Kultur vielfach nachgeordnet.

Interessanterweise wird bezirkliche Kulturarbeit auch finanzpolitisch sehr eigenwillig abgerechnet. Eklatantes Beispiel: Eine kommunale Galerie, die acht Stunden am Tag eine Ausstellung zeigt und von einer Handvoll Menschen besucht wird, hat auf dem Papier erfolgreicher gewirtschaftet als ein Ballhaus Naunynstraße, das zwei Stunden ein Theaterstück zeigt, zu dem hundert Leute kommen. Eine Kosten-Leistungs-Rechnung nach Angebotsstunden, die auf allen Ebenen für irrsinnig befunden, aber nicht abgeschafft wird. Man sieht also, manche Probleme ließen sich sogar ohne Geld lösen.

Auf dem Weg zu einer neuen Kulturpraxis, die wir postmigrantisches Theater genannt haben, waren wir – von den Anfängen im Hebbel am Ufer bis heute – neben den Eigeneinnahmen und der Konzeptförderung auf Drittmittel angewiesen, um überhaupt Projekte generieren zu können. Und die flossen zu über 50 Prozent aus Bundesetats wie dem Hauptstadtkulturfonds oder der Kulturstiftung des Bundes. Freilich kam die andere Hälfte aus Sondermitteln des Landes wie der Einzelprojektförderung und Förderbeteiligungen Berlins sowie der Lotto-Stiftung. Aber es war letztlich großes Glück im Spiel. Denn eigentlich sind diese Fonds repräsentativen Sonderprojekten von Künstlerinnen und Künstlern vorbehalten, die schon mindestens zwei, drei erfolgreiche Arbeiten vorweisen können. Dass wir Erstanträge wie den von Neco Celik für „Schwarze Jungfrauen“ oder „Meine Melodie“ von Tamer Yigit durchbekommen haben, war so manches Mal allein der starken persönlichen Vernetzung von Matthias Lilienthal zu verdanken, in die ich mit hineingewachsen bin.

Wenn man die interkulturelle Öffnung ernst nimmt, kann man die Bemühung um neue Publikumsschichten eben nicht nur den bestehenden Kulturinstitutionen überlassen, sondern muss bei der Nachwuchsförderung ansetzen. Der dafür bestehende Topf, der sich interkulturelle Projektförderung nennt, ist in Berlin – angeblich arm und sexy, aber ja auch reich und berühmt – mit bescheidenem Budget ausgestattet. Zwei Drittel fließen indirekt über die Konzeptförderung an das Ballhaus Naunynstraße, das verbleibende Drittel, 120 000 Euro, steht Einzelprojekten zur Verfügung, um die sich auch Institutionen wie das HAU bewerben.

Aber dieser so bescheiden ausgestattete Topf sollte eben nicht ausschließlich dem Communitytheater oder Projekten von Nachwuchskünstlern dienen, die in zweiter, dritter oder vierter Generation Migranten sind. Er sollte ebenfalls den internationalen jungen Talenten zur Verfügung stehen, die neu nach Berlin ziehen, die sich die Stadt als Ort für Leben und Produktion wünschen. Vor dem Hintergrund eines solch komplexen Verständnisses von Migration im globalen Kontext sollte der Fonds offen für Erst- und Zweitanträge von jungen Künstlern sein und mit mindestens einer Million Euro ausgestattet werden.

Im Sinne der interkulturellen Öffnung brauchen wir eine Idee für die Stadt, die eben nicht nur auf Werbeplakaten Gesichter in allen Farben als Diversität präsentiert. Jenseits aller Forderungen und Utopien steht natürlich auch die Verteilung der vorhandenen Mittel zur Disposition. Die Lobbys in dieser Stadt bewirken zwar, dass zur Qualitätserhaltung von landesgeförderten Opern einige Millionen an frischem Geld zu organisieren sind, während ein Theater wie das HAU jahrelang vergebens um eine Million Euro mehr bettelt.

Das Ballhaus Naunynstraße wird republikweit als eines der besten Offtheater gehandelt und schaut mit internationalen Kooperationen und Koproduktionen über den Tellerrand Berlins hinaus. Es steht trotzdem vor dem Aus. Das ist unsere konkrete Situation. Wenn nicht mindestens der Wegfall der durch die Initiative KulturArbeit geförderten Stellen kompensiert wird, muss unser Theater schon nach den Haushaltsbeschlüssen im Januar 2012 auf reinen Gastspielbetrieb umstellen und zum Ende der laufenden Saison schließen.

Gleichzeitig, auch das muss gesagt werden, können wir uns über die vergangenen fünf Jahre in Sachen Kulturpolitik nicht maßlos beschweren. Dass im Gegensatz zu anderen Städten nichts abgebaut wurde, stellte angesichts der Haushaltslage ein Kraftakt dar. Und Berlin braucht Wirtschaftswachstum, braucht mehr Steuereinnahmen. Ausnahmslos aber besagen die Statistiken, dass Kultur mehr Geld erwirtschaftet, als sie kostet. Wobei man sich hüten muss, in die Falle jener Kosten-Nutzen-Rechnungen zu tappen, die auch mit Migranten angestellt werden, im Sinne von: Sie bringen mehr Bruttosozialprodukt ein, als sie verschlingen. Dann nämlich hätten wir von Kunst und Kultur als Basis einer offenen Zivilgesellschaft mal wieder gar nichts gelernt.

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