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Kultur: Tankred Dorst: Die Welt, seine Bühne

Grazie und Katastrophe, das unterschwellige, beiläufige Verhängnis, sind in den Stücken von Tankred Dorst immer gegenwärtig. Das kommt, ob im riesigen Menschheitsdrama vom Zauberer Merlin und den Rittern der Tafelrunde oder bei den jetztnahen deutschen Familiengeschichten, merkwürdig leicht daher.

Grazie und Katastrophe, das unterschwellige, beiläufige Verhängnis, sind in den Stücken von Tankred Dorst immer gegenwärtig. Das kommt, ob im riesigen Menschheitsdrama vom Zauberer Merlin und den Rittern der Tafelrunde oder bei den jetztnahen deutschen Familiengeschichten, merkwürdig leicht daher. Selbst im scheinbar ganz Realistischen kleben Dorsts Figuren nie vollends am Boden, sie scheinen immer ein wenig zu schweben: zwischen den Tatsachen, zwischen den Zeiten, zwischen Glück und Unglück auch. Das verleiht ihnen eine Spur Geheimnis, ohne jede Mystifikation. Denn das Raunende, gar Pathetische ist dem wachen Träumer und seiner Muse, Dorsts kluger, lebensvoller Mitarbeiterin und Ehefrau Ursula Ehler, gänzlich fremd. Hier herrscht hellstes Zwielicht, und noch im Abgründigen sprechen Dorst/Ehlers Figuren eine unverzweifelt klare Sprache. Das Überwältigende widerfährt ihnen und dem Zuschauer gleichsam im understatement. Das lässt ans angelsächsische Drama denken - und tatsächlich sind Dorsts Stücke auch im allerbesten Sinne well-made plays.

Es erinnert diese Leichtigkeit der Schwermut, diese unaufdringliche Dringlichkeit, in der mit wenigen Sätzen Figuren auf der Bühne sofort plastisch, körperlich und auf eine graziöse Weise sinnlich werden, es erinnert das alles auch an den wohl wunderbarsten Geschichtenerzähler der dramatischen Moderne: an Anton Tschechow.

Kein deutschsprachiger Dramatiker, nicht einmal Friedrich Dürrenmatt, hat seit 1945 so viele, vielfältige Figuren aus allen Zeiten erfunden, hat Mythos und Gegenwart, Politik, Zeitgeschichte und Privates, die Geschichten der Liebe und der Familienbande mit solch unerschöpflicher Produktivität zusammengesponnen, hat Stücke geschrieben über historische Poeten und Revolutionäre wie Heine und Ernst Toller, über nicht aussterbende Unvernünftige wie den durch die neuen gesamtdeutschen Raster fallenden, mit Wonne und wilder Trägheit dahinfaulenden Herrn Paul, über Grimmsche Männer und Monster, über Herrn Korbes und den jungen Herrn Karlos (den Schillerschen, nochmal neu verwandelten), über den Armen Heinrich von einst und unsere reichen Nachbarn, die Lotto-Könige von heute.

Apropos heute: Da feiert Tankred Dorst, der gebürtige Thüringer, in München seinen 75. Geburtstag. Kaum glaublich, denn der hochgewachsene Dichter mit den dicken weißen Locken ist ein ganz Junger. Ein großes Kind - des Glücks in der Kunst und in der Liebe zum Leben. So viel ist ihm schon gelungen, und so viel hat er noch immer vor, voller Pläne, Entwürfe, Inspirationen. Möge es andauern und weitergehen, immer ein Stück weiter. Das wünschen ihm seine Freunde und die Theaterwelt.

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