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Kultur: Tanz auf dem Vokal

SCHREIBWAREN Jörg Plath über lyrische Hochleistungen Ab heute sind die Nächte in der Lichtenberger Str. 40 wieder ruhiger und die Tage heller, was die Bewohner so sehr wie die Pflanzen freuen dürfte.

SCHREIBWAREN

Jörg Plath über

lyrische Hochleistungen

Ab heute sind die Nächte in der Lichtenberger Str. 40 wieder ruhiger und die Tage heller, was die Bewohner so sehr wie die Pflanzen freuen dürfte. Denn die Platten vor den Fenstern des neunzehnstöckigen Plattenbaus sind abmontiert, und die Akrobaten des australischen Körpertheaters „Legs on the Wall“, die das Poesiefestival letzte Woche eröffneten, toben nicht mehr zu nächtlicher Stunde kreuz und quer über die Fassade. Das Programm des Poesiefestivals (Tel. 0304852450, www.poesiefestival.org ) wird nun weniger schwindelerregend, aber nicht weniger langweilig – lyrische Routine kann es ja per definitionem nicht geben. Auch getanzt wird weiterhin: Der australische Dichter Ruark Lewis und die deutsche Gruppe Rubato haben „Banalities/Banalitäten“ erarbeitet (3.7., 21 Uhr). Brigitte Oleschinski setzte sich mit zwei indonesischen Tänzern auseinander (5.7., 19 Uhr), und Michael Lentz ist nach Australien gereist, um dort mit zwei Tänzern und der Choreografin Lucy Guerin ein Tanzstück zu entwickeln (4.7., 20 Uhr; alle Vorstellungen im Theater am Halleschen Ufer). Lentz und Guerin sprechen über ihre Erfahrungen mit der Reibung von Poesie und Tanz, Musik und Sprache am 1.7. in der Backfabrik (17 Uhr).

Die Musik bleibt ebenfalls im Programm: Das australische Ensemble für Neue Musik Elision spielt Werke, die auf Gedichten beruhen (3.7., 19 Uhr und 4.7., 20 Uhr im Konzerthaus Berlin), und Gerhard Falkner führt gemeinsam mit David Moss die Poesie-Musik-Sound-Performance „Ground Zero“ auf. Falkners Langgedicht handelt nicht von New York, sondern von Berlin und will eine Feier der Stadt wie eine Attacke auf sie sein (Backfabrik, 2.7., 20 Uhr). Noch eine Grenzüberschreitung gefällig? In der Backfabrik unterhält sich der Pionier der Lautpoesie Henri Chopin mit Tagesspiegel-Redakteur Gregor Dotzauer (2.7.). Der 1922 geborene Chopin nimmt Körpergeräusche auf und mischt live Maschine und Mensch, Rhythmus und Stimme. In derselben Gesprächsreihe in der Backfabrik spricht der Libanese Abbas Beydoun am 3.7. über arabische Lyrik, am 4.7. der Albaner Ismail Kadaré über seine Gedichte (jeweils um 17 Uhr).

Ganz auf den Text konzentrierten sich zehn australische und deutsche Dichter, um paarweise die Gedichte des anderen in ihre Sprache zu übertragen. Die Ergebnisse solchen Versschmuggels stellen Judith Beveridge, Uwe Kolbe, Peter Waterhouse und andere am 1.7. vor (Backfabrik, 20 Uhr). Am 5.7. endet das Poesiefestival mit der „ Nacht der Poesie “. Ab 20 Uhr lesen auf dem Potsdamer Platz in ihrer Sprache unter anderem Lars Gustafsson, Wolfgang Hilbig, Ismail Kadaré, Nuala Ni Dhomhnaill aus Irland, der Chilene Gonzalo Rojas und Henri Chopin. Am Sonntag danach springt das Literaturhaus in die sehr frische Bresche und bringt „Poesie in die Stadt “ (so der Titel der Gemeinschaftsaktion aller deutschen Literaturhäuser). Das war aber auch dringend notwendig. Ab 17 Uhr lesen Elke Erb, Rolf Haufs, Gregor Laschen und Lutz Seiler, dann folgt eine Lyrik-Nacht mit Herta Müller, Michael Lentz, der Rumänin Nora Iuga und Sigitas Parulskis. Nach soviel Namen sollen Sie nun noch zu einem Gedicht kommen. Es ist von dem Litauer Parulskis: „Ist es nicht immer dasselbe: // Geburt Leben Tod / und hörte sagen / über den Tag der Geburt den Todestag / immer denselben Unsinn nur / glücklich die Toten sie hören nicht zu." Na dann: Schluss.

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