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Kultur: Tanz den Buddha

So weit, so klug: Das Jazzfest überrascht mit Musik vom Alpenrand

Als am späten Abend künstliche Nebelschwaden im Berliner Babylon-Kino aufziehen, werden Pullunder und Schals geschwenkt. Windmühlenartig. Man lässt sich nicht gerne den Durchblick rauben, schon gar nicht von etwas so diffus Budenzauberhaftem wie Trockeneisdunst. Pop!, warnt das Hirn - und wehrt sich. Doch bei Nik Bärtschs minimalistischen Beat-Teppichen, die dem diesjährigen Berliner Jazzfest am Sonnabend einen mitternächtlichen Höhepunkt bescherten, ist die Popkultur nur ein höchst nebensächlicher Bezugspunkt. Denn Melodien fehlen gänzlich in dem brodelnden Rhythmus-Geflecht, das der Schweizer Pianist mit unermesslicher Geduld und einem gespenstischen Gefühl für Spannungsbögen als großes akustisches Fragezeichen in den Raum malt. Die Musik des Ronin-Projekts, die Bärtsch selbst „Zen- Funk“ nennt, übersetzt die computerisierten Klangwelten von House und Techno in die Sprache einer Band, die sich mit Klavier, Bass- und Kontrabassklarinette, Percussions und E-Bass zwar dem Jazz verwandt zeigt, aber ein traditionsloses Terrain erschließt. Sie ist so stark mit ihrem Konzept verschmolzen, dass nirgendwo Notenblätter die Musiker daran erinnern, was als nächstes folgt. Etwas Rituelles, Archaisches liegt in der Luft, das seiner ursprünglichen Verwurzelung entrissen und von diesem Quintett in die postmoderne Kälte von Beat-Ellipsen eingespeist wird – wie sich ja immer wieder Kraftfelder in unser aufgeklärtes und durchzivilisiertes Abendland einschleichen, die ein perfides Angebot an unsere Instinkte machen. Wenn es doch nur ewig so weiterginge, das Wummern und selbstvergessen Mechanische, denkt man sich und fürchtet doch die innere Leere, die hinter diesen furiosen Funk- Schleifen lauert.

Mit Nik Bärtsch’s Ronin zeigte Jazzfest- Leiter Peter Schulze, wie radikal er die gängigen Genre-Definitionen zu missachten bereit ist. Und nun, im vierten Jahr seiner unverhofft langen Regentschaft zahlt sich erstmals aus, dass er dem Festival immer wieder programmatische Leitlinien gibt. Diesmal reisten Musiker aus dem alpenländischen Raum und aus New Orleans an, ein drittes Themenfeld erschloss sich den 10000 Festival-Besuchern durch die Verbindung von Jazz und Film. Neben Julian Benedikts zwiespältiger Dokumentation „Play Your Own Thing“, die trotz beeindruckender Zeugenliste ihr Thema nicht recht zu fassen bekommt, grub Schulze das untergegangene Film-Manuskript „Der Pleite- Jazz“ des flämischen Dada-Dichters Paul van Ostaijens aus - samt der jüngeren Bemühungen des Saxophonisten Stephan-Max Wirth, einen Soundtrack für dies imaginäre Kino zu erfinden. So stand das 42. Jazzfest von Beginn an unter dem Eindruck einer europäischen Standortbestimmung. Amerikanische Musiker spielten nur Nebenrollen. Aber auch das Globe Unity Orchestra von Alexander von Schlippenbach, dieser kollektive Improvisationsvulkan und Geburtshelfer des european jazz, spie viel kalte Asche aus. Das formalisierte Hervortreten einzelner Musiker zur freien Rede – bemerkenswert nur Evan Parker und Axel Dörner –, die Antwort des entfesselten Band- Körpers und das Aufgehen desselben im auskomponierten Wohlklang, mag demokratischen Tugenden gehorchen. Aber neue Wege weist es nicht. Zudem fällt einem nur umso stärker der eklatante Mangel an feeling auf, der auf den Bruch mit dem amerikanischen Jazz-Idiom folgte.

Mit dem Versuch, das Alpenländische im europäischen Jazz zu beleuchten, wagte sich das Jazzfest auf folkloristisches Terrain. Doch setzten die österreichischen und Schweizer Bands die überraschendsten Akzente auch, weil ihre Bindung an lokale Traditionen mit einem urgründigen Lebensgefühl einhergeht. Das begann mit einem fulminanten Auftritt von Erika Stucky, die alles dafür tat, das „Heidi-thing“ abzuschütteln. An der amerikanischen Pazifikküste aufgewachsen und dann von den Eltern an die Alpen verschleppt, streute die resolute Sängerin ihre Lebensgeschichte als amüsantes Beispiel einer Entwurzelung zwischen die Songs ein. Dann wieder stand sie in der Pose einer Sennerin vor dem Mikro, klopfte mit einem Holzstab auf den Stiel eines Besens und röhrt und grummelt wie ein Derwisch zu Screamin’ Jay Hawkins’ „I Put A Spell On You“. Während Stucky das Volkstümliche der regionalen Fixierungen aufhob, trieb der Wiener Altsaxophonist Wolfgang Puschnig es bis zur Groteske. Sein Quartett musste sich der Amstettner Musikanten erwehren. Da ging’s brachial zur Sache. Bläsersätze verprassten, wovon sie ohnehin viel hatten: Noten. Und Puschnig selbst wirbelte durch ein Dickicht der Läufe.

Dass es auch zarter zugehen kann an der Donau, demonstrierte das Radio String Quartett. Das junge Kammerensemble hatte sich das kraftstrotzende Werk des Mahavishnu Orchestra erarbeitet und goss dessen verstiegene Jazzrock-Kompositionen in betörend klare, nicht minder energetische Verlaufsstudien. Während die HR-Bigband dasselbe Material wenig später – sogar unter Mitwirkung von Mahavishnu-Drummer Billy Cobham und dem Geiger Jerry Goodman – aufs Format einer Festsaal-Kapelle schrumpfen ließ, tasteten sich die vier Streicher durch ein Geräusch-Universum, das keinen Strom brauchte, um elektrisch zu klingen.

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