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Kultur: Tanz der Phantome

Die Galerie Johnen zeigt neue Fotos von Jeff Wall

An diesen Ort, umstellt von Plattenbauten, könnte auch Jeff Wall Gefallen finden. Die Galerie Johnen liegt etwas abseits, gehört zwar noch zur Berliner Mitte, flirtet aber schon mit Friedrichshain. Die perfekte Peripherie für ein Wall-Foto? Wer weiß, vielleicht sehen wir die Straße im Deutschen Guggenheim wieder, wenn der Kanadier dort im Oktober ausstellt.

Bei Johnen dominiert Walls Geburtsort Vancouver auf drei von vier präsentierten Bildern, die fast alle in diesem Jahr entstanden sind. Die Zahl der Exponate mag knapp sein, dafür entfalten zwei der für Wall typischen Riesenleuchtkästen fast sofort ihre erzählerische Sogwirkung (Preise auf Anfrage). Am Obdachlosenasyl in der Carrall Street hängt eine gelbe Schuttrutsche wie ein Ausrufezeichen. Das Baufirmenlogo „Darwin“ gemahnt an erbarmungslose Sozialtheorien, Sonne knallt auf die Straße, die Leute hinter der verschatteten Fassade sieht man nicht. Oder wohnt da niemand mehr?

Überhaupt ist beim Meisterregisseur der Kunstfotografie diesmal von Menschen wenig zu sehen. Ganz im Gegensatz zur parallelen Jeff-Wall-Retrospektive am New Yorker Museum of Modern Art. Dort belegen szenische Highlights aus drei Jahrzehnten, dass Wall maßgeblich zur Aufwertung der Fotografie als Kunstform beigetragen hat. Für das Medium und seine Epoche ist der 1946 geborene Künstler das Pendant zu Edouard Manet geworden, den Baudelaire in seinen Essays über die Kunst des 19. Jahrhunderts einen „Maler des modernen Lebens“ nannte. Wall zielt auf das Erfassen komplexer bürgerlicher Realitäten, kündet vom Wohnen, Zersiedeln, von subtiler Gewalt und Angst. Dank skrupulöser Ausschnittwahl, einem hohen Aufwand, was Zeit und Technik anbelangt, und der partiellen Unterstützung durch den Computer erreicht er bei seinen neuen Bildern einmal mehr ein Oszillieren zwischen unheimlicher Präsenz und laxer Selbstverständlichkeit. Als seien die Motive en passant eingefangen worden: An einer Vorortkreuzung steht eine turmlose Holzkirche. Der Schnee auf dem Dach beginnt zu schmelzen. Trotzdem wirkt das Gebäude wie zugefroren – unvorstellbar, dort anzuklopfen.

Es gibt durchaus Wall-Fotos, in denen sich Raum in seiner ganzen Weite öffnet. Häufiger aber werden Außenszenerien durch Mauern oder steil ansteigende Topografien nach hinten begrenzt. Wirklich eng wird es auf zwei kleineren Leuchtkästen: Wie ein Archäologe blitzt Wall in eine römische Ladenvitrine mit altmodischen Mädchenkleidern. Ein Tanz der Kinderphantome. Im Untergeschoss hängt der vierte Leuchtkasten. Er zeigt ein blindes Kellerfenster, vor dem Spinnen ihre Fäden ziehen. Visuell ein wunderschön komponiertes Bild aus Grün- und Grautönen, dramaturgisch ein Schlusspunkt, an dem auch der Besucher an das Ende der Ausstellung gelangt.

Galerie Johnen, Schillingstr. 31, bis 26. Mai, Dienstag bis Sonnabend, 11 – 18 Uhr.

Jens Hinrichsen

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