zum Hauptinhalt
Tosende Erinnerung. Meg Stuart in „Hunter“.

© Hebbel am Ufer

Tanz: Der Riss in meinem Körper

Hebbel am Ufer: Die Tänzerin und Choreografin Meg Stuart zeigt ihr erstes abendfüllendes Solo „Hunter“.

Von Sandra Luzina

„Die Leute sagen, ich sei schüchtern.“ So hebt Meg Stuart zu ihrem Bühnenmonolog an und blickt scheu ins Publikum. Die amerikanische Choreografin, die schon seit vielen Jahren in Berlin lebt, hat mit 49 Jahren ihr erstes abendfüllendes Solo kreiert. „Hunter“ ist Selbstsuche und Selbstvergewisserung – und sicher die bisher persönlichste Arbeit der Tänzerin. Die beweist wieder mal mit ihren kontinuierlichen Verformungen und Deplatzierungen, wie beredt der Körper ist.

Die große Überraschung aber ist, dass Meg Stuart diesmal einen längeren Text vorträgt – und am Ende sogar singt. „Ich habe den Worten nicht besonders getraut“, kommentiert sie ihre angebliche Schüchternheit. Und beginnt dann zu erzählen: von ihren Eltern, die beide Regisseure waren und ein kommunales Theater betrieben. „Ich habe so viele schlechte Schauspieler gesehen“, bekennt sie, „dass ich mir geschworen habe, auf der Bühne nie ein Wort zu sprechen.“

Der Abend kreist um Erinnerungen. Das hat der Performerin wohl die Zunge gelöst. Meg Stuart erkundet, wie ihre Erfahrungen sich in ihrem Körper eingeschrieben haben – ein durchgehendes Thema bei Meg Stuart.

In „Hunter“ wählt sie wieder einen multimedialen Ansatz und arbeitet mit verschiedenen Materialien. Anfangs sitzt sie völlig versunken an einem Tischchen, zerschneidet Schwarz-Weiß-Fotos aus ihrem privaten Bilderalbum, und arrangiert die Schnipsel. Bei einem Foto von Mutter und Kind werden die Gesichter durch Tierköpfe ersetzt, andere Fotos mit Nagellack übermalt oder mit Glanzpapier überklebt. Dazu ertönt eine Collage aus unterschiedlichen Musikwerken, Geräuschen und Stimmen. Da sprechen zwei Frauen über die Folgen einer Scheidung, eine andere Frau berichtet, wie eine Feministin vergeblich versucht, ein Playboy-Bunny zu agitieren. Und eine gebrochene männliche Stimme doziert über die Notwendigkeit von Veränderung. Privates und Philosophisches, Lustiges und Tiefgründiges gehen Hand in Hand.

Die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes hat für Meg Stuart eine luftige Konstruktion aus Plexiglas und Metallröhren entworfen, die wie ein Schirm die Bühne überspannt. Mehrere Leinwände sind daran befestigt. Wenn Meg Stuart schließlich die Bühne betritt, ist der Raum schon aufgeladen. Sie legt sich zunächst auf den Boden und fährt wie elektrisiert hoch. Ihr Körper scheint unter einer enormen Spannung zu stehen. Sie zappelt und zuckt, schlägt um sich und bäumt sich auf. Die Performerin ist den unkontrollierten Regungen des Körpers völlig ausgeliefert. In „Hunter“ scheint es sie innerlich zu zerreißen. Wie sie diese Syntax aus Bewegungen variiert, ist einzigartig. Furios auch eine Szene, wo sie nur die Arme einsetzt. Die entwickeln ein beunruhigendes Eigenleben, verknoten und verheddern sich, schlagen aus und lassen sich nur mit Zwang fixieren. Solche Fantasmagorien des Körpers zu ersinnen, die eine groteske Komik besitzen – das ist die große Begabung von Meg Stuart.

Auf den flimmernden Filmen sieht man den Vater oder die kleine Tochter, die ihre ersten Tänze zeigt. Fast surreal wirken die Videos von Chris Kondex, in denen sie sich wie in Trance dreht oder ihren Körper abtastet wie ein fremdes Objekt. Meg Stuart durchquert an diesem Abend die verschiedensten emotionalen Zustände. Einmal versinkt sie in einem quietschbunten Patchwork-Stoffzelt mit vielen Ärmeln, so, als ob die Kindheit sich nicht ganz abstreifen ließe. Später tritt sie mit nacktem Oberkörper und Perücke aus langen blonden Haaren auf, in die sie sich einspinnt wie in einen Kokon.

Meg Stuart ist eine der prägenden Choreografinnen der zeitgenössischen Tanzszene. Seit das Hebbel am Ufer sie als Hauskünstlerin an sich gebunden hat, hat ihre Karriere noch mal einen Schub bekommen. Ihre Arbeiten sind regelmäßig zu sehen und fast immer ausverkauft. In „Hunter“ zeigt sie nun: Sie ist eine Jägerin, nicht nur eine Sammlerin. Sie spießt die Fundstücke auf, gräbt sich in tiefe Erinnerungsschichten. Der Abend hat etwas von einer Seance – doch am Ende legt sich das schmerzhaft Obsessive. Die Tänzerin nimmt ihre Geschichte an, was etwas Befreiendes hat. Und schickt in einer lustigen Suada am Ende alle Schamanen, Life-Coaches und Cranio-Sakral-Therapeuten in die Wüste.

HAU2, 28./29.3. (ausverkauft)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false