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Kultur: Tanz der Stimmen

Kleine Experimente: zum Abschluss des MaerzMusik-Festivals

Wie klingt der Gesang der Zukunft? Und wer singt dann? Die MaerzMusik versprach Antwort: Dessen vierte Ausgabe mit fast 40 Projekten ging am Sonntag mit Dieter Schnebels Sinfonie X in der Philharmonie zu Ende. Das utopische, im Auftrag von MaerzMusik nun um einen dritten Satz mit großer Chorpartie erweiterte Werk, beschloss am Vorabend von Schnebels 75. Geburtstag das Festival: ein Schlusspunkt als Höhepunkt, mit dem Deutschen Symphonie Orchester unter Leitung von Zsolt Nagy.

Nachdem das Festival, Teil der Berliner Festspiele, im letzten Jahr mit dem Schwerpunkt Charles Ives in Schieflage geriet, hat Leiter Matthias Osterwold diesmal mehrere Themen akzentuiert, unter anderem die menschliche Stimme. Da wirkt die Vokalakrobatik eines David Moss zwar nicht mehr taufrisch, zu bekannt sind die Muster, die in der freien Improvisationsszene seit Jahrzehnten gepflegt werden. Umso beeindruckender geriet die Darbietung der über 80-jährigen Michiko Hirayama, die den Zyklus Canti del Capricorno von Giacinto Scelsi mit staunenswerter Hingabe aufführte. Scelsis singulärer Ansatz, rituelle fernöstliche Musizierweisen in zeitgenössische Musiksprache zu überführen, hat nichts von seiner Überzeugungskraft eingebüßt.

Wenig Erfreuliches ist vom Musiktheater zu berichten. Erstaunlich platt Jocy de Oliveras weltverbesserische Performance „Die Fremde“, auch die Minioper „Aperto, meu ex-passo“ der brasilianischen Sängerin Madalena Bernardes bot zwar ein beeindruckendes Bühnenbild und gewaltige Lautstärke, ansonsten aber nur eine Ansammlung exaltierter Gesten. Überhaupt hat sich Brasilien, Länderschwerpunkt des Festivals, nicht unbedingt als Musikland empfohlen, mit Ausnahme der Telebossa „Schicksal um Acht“. Chico Mello kombiniert darin Bossa-Nova-Rhythmen und melodramatische Elemente der brasilianischen Telenova zu einem intelligenten, streng durchgearbeiteten szenischen Kaleidoskop. Immer wieder wird eine Familienszene durchgespielt und im Fotomontagestil verzerrt. Vater und Mutter warten in Sorge auf die längst überfällige Ankunft der Tochter. Lange unterdrückte Spannungen brechen auf, häusliche Gewalt wird sichtbar. Mello beschleunigt und verlangsamt die Szenen, fährt sie vor und zurück.

Die Kammermusikwerke hatte Osterwold wie Füllmasse in die Fugen seines auf amerikanische Konzeptkunst ausgerichteten Festivals eingefügt. Neben Walter Zimmermanns feiner Glissandostudie „Ursache & Vorwitz“ bleiben vor allem die „Interludes for an Opera“ von Jonathan Harvey in Erinnerung. Zwar hatten Festspiele-Intendant Joachim Sartorius und Kulturstaatsministerin Christina Weiss zur Eröffnung einmal mehr den Mut zum Experiment betont. Nun ist Experimentierwille in der Neuen Musik allerdings längst eine Platitüde. Als gäbe es in Berlin zu wenig experimentelle Musik, werden andere Bereiche der Neuen Musik vom Festival allzu stiefmütterlich behandelt. Und mit der avisierten künftigen Zusammenarbeit der Festspiele mit dem Haus der Kulturen der Welt dürfte die Tendenz zu Multimedia- und Performancekunst noch zunehmen, denn dieser Bereich wird ohnehin favorisiert.

Warum eigentlich wird die MaerzMusik nicht endlich als das deklariert, was sie im Grunde von Anfang an war: ein von Osterwold mit Leidenschaft geführtes Festival für Medienkunst, Performance und Musiktheater. Als Ergänzung könnte André Hebbelinck seine Konzeption für das Herbstfestival der Festspiele, die Klassische Musik und neue komponierte Musik verbindet, noch vertiefen. Dafür braucht er die Rückendeckung, die Matthias Osterwold schon lange genießt: Anders als Hebbelinck ist der MaerzMusik-Chef in der Berliner Kulturszene verwurzelt.

Die Erfahrungen vom vergangenen Herbst zeigen, dass Hebbelincks Konzept reiche Früchte tragen kann. Und das Schönste dabei: Joachim Sartorius müsste nicht länger traurig den Blick senken, wenn man ihn zu Ziel und Zukunft seines Musiktandems Osterwold/Hebbelinck befragt. Stattdessen könnte er ein ausgewogenes, klar akzentuiertes Musikkonzept für die Berliner Festspiele präsentieren. Er könnte vor Freude sogar zu singen beginnen.

Ulrich Pollmann

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