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Kultur: Tanz der Tuareg

Wind, Wüste, Menschenwürde: der Dokumentarfilm „Woodstock in Timbuktu“.

Selbst in der Sahara entkommt man der Firma mit dem Apfel nicht. Gerade haben die Nomaden auf ihrem Mac mittels Photoshop einen Kamelparkplatz in eine virtuelle Wüste gesetzt, schon nähern sich reale Karawanen durch die Dünen, und das „Festival au Désert“ im Norden von Timbuktu kann beginnen: ein dreitägiges Musikfestival der Tuareg, das sich vom innernomadischen Großfamilienfest zu einem internationalen Kulturtreffen entwickelt hat. Die Tuareg leben einen offenen, toleranten Islam – und benötigen dringend Verbündete in der Welt, um ihre eigene Kultur zu retten.

Die Nomadenvölker, die sich nach ihrer gemeinsamen Sprache Kel Tamaschek nennen, leben in prekären Verhältnissen, seit die Kolonialmächte ihr Lebensgebiet in der Sahararegion auf fünf Staaten aufteilten. Später machte ihnen neben der Ausgrenzung auch die Ausbeutung von Rohstoffen das Leben schwer. Es folgten Revolten, Repression, Waffenstillstände, Aufstände. „Unsere Waffe ist die Gitarre“, sagt im Film Ahmed Ag Kaedi, Leadman und Gitarrist der Gruppe Amanar. Es geht um politische Bewusstseinsbildung, um Frieden, Wohlstandsteilhabe und Bewahrung der kulturellen Identität. Und natürlich sind die polyperkussiv befeuerten Lieder von Wind und Wüstensand auch eine perfekte Anstiftung zum Tanz.

Die deutsche Regisseurin Désirée von Trotha lebt die Hälfte des Jahres mit den Tuareg in der Wüste. Sie erzählt in persönlichem Ton, verzichtet aber zum Glück auf die Mode, sich als Dokumentarist selbst in Szene zu setzen. Obwohl sie öfter zu sehen ist, hoch zu Kamel oder als Dolmetscherin. Auch im Film tritt sie als Vermittlerin auf, wobei sie aus ihrer Sympathie für die Tuareg keinen Hehl macht. Eine Parteilichkeit auch für die Frauen, die in der nomadischen Gesellschaft einen höheren Status besitzen als in arabischen Kulturen. Von Trotha gibt ihnen Raum, dennoch beherrschen die Männer das Terrain, zumindest verbal. Wenn sie von der Macht und Würde der Frauen schwadronieren, sitzen diese milde lächelnd daneben – und schweigen. Sie wissen, was sie zu verlieren haben, seit die Islamisten auf dem Vormarsch sind.

„Woodstock in Timbuktu“ wurde 2011 gedreht. Nach dem Bürgerkrieg in Nordmali und dem Putsch fand das Festival 2013 bislang nicht statt; man überlegt jetzt, in Christoph Schlingensiefs Operndorf um Asyl zu bitten (www.festival-audesert.org). Die Protagonisten dieses intensiven, formal erfreulich unaufgeregten Films leben heute als Flüchtlinge in der Region verstreut. Silvia Hallensleben

In Berlin im Babylon Mitte

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