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Ideen für Berlin. Bettina Masuch leitet das Jubiläumsprogramm von „Tanz im August“.

© Björn Kietzmann

Tanz im August: Interview mit Bettina Masuch: Die neue Kraft des Südens

Bettina Masuch leitet in diesem Sommer das Festival "Tanz im August", dem sie neues Profil verleihen soll. Im Tagesspiegel-Interview spricht sie über Tanzgeschichte, asiatische Erotik und die Berliner Kulturpolitik.

Frau Masuch, zuletzt hat es viel Kritik an der Programmgestaltung von „Tanz im August“ gegeben. Sie wurden im letzten September als Retterin geholt. Was konnten Sie in der kurzen Zeit auf die Beine stellen?

Das Jubiläumsprogramm zeigt die Bandbreite zwischen dem, was das Festival war, als es vor 25 Jahren gegründet wurde, und dem, was Tanz in der Zukunft sein kann. Als Nele Hertling das Festival gegründet hat, gab es kaum internationalen Tanz in der Stadt. Stücke, die in New York und Paris Aufsehen erregten, nach Berlin zu holen, das war Pionierarbeit und hatte einen großen Einfluss auf die Tanzszene der Stadt. An der Entwicklung von „Tanz im August“ kann man sehen, was für ein Motor ein Festival sein kann.

Das Festival wird am Freitag mit den „Early Works“ von Trisha Brown im Hamburger Bahnhof eröffnet. Warum wollten Sie eine Wiederbegegnung mit ikonischen Werken der Tanzgeschichte ermöglichen?

Mich interessiert die Frage, wie diese erste Begegnung mit einer damals noch ziemlich unbekannten Tanzsprache wohl ausgesehen hat. Die „Early Works“ sind einerseits sehr abstrakt, arbeiten mit alltäglichen Bewegungen und bringen eine Anti-Virtuosität auf die Bühne, haben aber gleichzeitig einen unglaublichen Humor. Es ist unbestritten, dass Trisha Brown damit Tanzgeschichte geschrieben hat. Mich interessiert, ob diese Arbeiten heute noch relevant sind, ob sie eine zeitlose Qualität haben.

Auch Steve Paxton ist einer der Heroen aus den Siebzigern. Er lebt heute zurückgezogen in Vermont: Wie haben Sie es geschafft, dass er nach Berlin kommt?

Wir haben uns in einem Öko-Café in New York getroffen. Zuerst war er von meinem Angebot verblüfft, noch einmal eines seiner alten Stücke wiederaufzunehmen. Doch irgendwann hat er sich mit der Idee angefreundet, das Solo „Bound“ aus dem Jahr 1982 mit einem jungen Tänzer einzustudieren.

Auch Tino Sehgal wird eine frühe Arbeit neu inszenieren. Sehgal ist inzwischen zu einem Star der Kunstszene avanciert. Zeigt diese Arbeit, dass er vom Tanz kommt?

Sehgal hat diese Arbeit vor 13 Jahren gemacht, in einer Phase, als er noch für die Bühne arbeitete. Sie zitiert die Entwicklung des Tanzes von seinen Anfängen im frühen 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, ist sozusagen ein live verkörpertes Museum des Tanzes. Dieses Stück kann man durchaus als Übergang zu seinen neuen Arbeiten im Museum sehen.

Früher schauten alle nach New York, doch inzwischen hat sich die Landkarte des Tanzes verändert. Man spricht heute vom global dance. Meint das eine Vielfalt an Ästhetiken oder bedeutet das eher eine Nivellierung durch das Internet?

Ganz sicher ist es so, dass das Internet zum Beispiel den Hip-Hop in die entlegensten Ecken der Welt getragen hat. Ich mache mir keine Sorgen, dass eine globale Einheitskunst entsteht. In den Metropolen des globalen Südens wächst eine jüngere Generation von Choreografen heran, die ihren Tanz mit einer neuen Dringlichkeit versehen. Ihre Arbeiten lassen eine Öffnung zu gesellschaftspolitischen Problemen erkennen, es findet eine Auseinandersetzung mit postkolonialer Geschichte statt. Das ist eine Energiespritze für den Tanz.

Afrika war in diesem Jahr ein Schwerpunkt beim Festival in Avignon. Sie haben zwei Produktionen aus Afrika nach Berlin eingeladen, beides sehr politische Stücke.

Mich interessieren Arbeiten, in denen sich ein Choreograf mit seiner eigenen Herkunft auseinandersetzt. Faustin Linyekula aus dem Kongo, einer der wichtigsten Choreografen Afrikas, befragt immer wieder seine eigene Geschichte. Boyzie Cekwana und Panaibra Canda greifen einen zentralen Konflikt der Geschichte Südafrikas auf und stellen auch uns Fragen. Ist Afrika für uns nur dieser traumatisierte Kontinent?

Ein anderer Schwerpunkt ist die Gender-Frage. Was hat der Tanz beizutragen?

Eisa Jocson hat für ihr Stück in den Nachtclubs von Manila recherchiert. Das „Macho-Dancing“ ist ein Phänomen der Vergnügungsindustrie. Junge Männer, die nach Manila kommen und keinen Job finden, strippen für homosexuelle Männer und heterosexuelle Frauen. Eisa Jocson hat sich diese Tänze angeeignet. Eine schöne junge Frau steht auf der Bühne, dennoch findet eine Transformation statt. Als Frau in eine Vorstellung zu gehen, wo man ganz klar erotisch angemacht wird, das passiert nicht oft.

Auch andere Choreografen haben sich in den Clubs herumgetrieben. Ist das ein neuer Trend?

Es geht darum, eine körperliche Erfahrung zu zeigen, die 50 Prozent des Publikums kennen. Choreografen wie Francois Chaignaud und Cecilia Bengolea verkörpern ein bestimmtes Lebensgefühl und schauen mit dem Auge des Künstlers auf die Clubkultur.

Sie werden ab Herbst das Tanzhaus NRW leiten. Wie beurteilen Sie die Berliner Kulturpolitik?

Wenn Berlin möchte, dass „Tanz im August“ seine Strahlkraft als größtes deutsches Tanzfestival behält und ausbaut, wird es ohne eine finanzielle Aufstockung nicht gehen. Und die Arbeitssituation hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Berlin ist immer noch ein gutes Pflaster für junge Choreografen, die sich ausprobieren wollen. Schwierig wird es, wenn man kein junges Nachwuchstalent mehr ist, größere Ansprüche an seine Arbeit stellt und längerfristig arbeiten will. Dafür gibt es keine Förderinstrumente und -strukturen.

Sie denken an Sasha Waltz, Constanza Macras oder Meg Stuart?

Ja, aber auch an Xavier LeRoy. Der Unterschied zum Theater ist, dass es da eine größere Durchlässigkeit gibt. Rimini Protokoll, Gob Squad oder René Pollesch konnten so größere Projekte realisieren. Im Tanz gibt es diese Möglichkeit nicht. Wenn man große Choreografenpersönlichkeiten will, muss man ihnen die entsprechenden Bedingungen schaffen.

Tanz im August wurde 1988 in West-Berlin gegründet. Inzwischen gehört es organistorisch zum Hebbel am Ufer. Die Jubliäumsausgabe läuft vom 16. bis 31. August. Zu sehen sind Choreographien von Pionieren wie Trisha Brown und Steve Paxton. Tino Sehgal zeigt ein „Museum des Tanzes“. Junge Choreografen aus Afrika, Lateinamerika und Asien repräsentieren neue, globale Ausdrucksformen des zeitgenössischen Tanzes. Die Berliner Szene präsentiert sich vom 29. August bis 1. September unter dem Motto Ausufern in einem Marathon in den Uferstudios in Wedding. Tickets online:www.tanzimaugust.de

Bettina Masuch, geboren 1964 in Solingen, arbeitete als Dramaturgin an der Berliner Volksbühne. Von 2003 bis 2008 war sie Kuratorin für Tanz und Performance am Hebbel am Ufer. Ab 2009 leitete sie das Springdance Festival in Utrecht. Sie wurde für die Jubiläumsausgabe von „Tanz im August“ engagiert, um dem Festival wieder mehr Profil zu verleihen. Danach wird sie die künstlerische Leitung des Tanzhauses NRW in Düsseldorf übernehmen. Das Gespräch führte Sandra Luzina.

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