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Bowie-Hommage. Michael Clark mit seiner Performance „To a simple rock’n’roll... song“.

© Anja Beutler

Tanz im August: Kuriose Schräglagen

Punk und Geschlechterverwirrung: Michael Clark und Trajal Harrell mit neuen Stücken bei „Tanz im August“.

Von Sandra Luzina

Michael Clark ist zurück in Berlin - und bescherte dem „Tanz im August“ einen ersten Höhepunkt. Dem schottischen Choreografen haftet immer noch der Ruf des Provokateurs an, dabei besitzt er bei all seinem Hang zur Extravaganz ein ausgeprägtes Formbewusstsein. In den Achtzigern schockierte Michael Clark das britische Publikum mit seiner „Kiss-my-ass“-Attitüde. Der an der Royal Ballet School in London ausgebildete Tänzer trat in gewagten Outfits zu lauter Punkmusik auf. Clark entwickelt seinen eigenen Stil, indem er die Präzision des Balletts mit der rohen Energie des Punks kombinierte. Eine der schillerndsten Figuren des britischen Tanzes ist Michael Clark immer noch, auch wenn er mit Mitte 50 in seiner reifen Phase angelangt ist. In seinem neuen Ballettabend „to a simple, rock'n'roll... song“, der im Haus der Berliner Festspiele zu sehen war, verneigt er sich noch einmal vor seinem Idol David Bowie. Der dreiteilige Abend beginnt zunächst aber mit einer eleganten Choreografie zu Erik Saties minimalistischer Klaviermusik „Ogives“. Clark zeigt ein raffiniertes Formenspiel, das vom Strikt-Reduzierten zum Skurril-Verdrehten reicht. Die acht Tänzer in schwarz-weißen Trikots zelebrieren die geometrisch anmutenden Bewegungen in gemessenem Tempo. Anfangs dominieren klare Linien, doch die Körperarchitektur wird zunehmend komplexer. Clark dreht, wendet und kippt die Figuren und stellt die klassische Ordnung schon mal auf den Kopf. Fantastisch ist das Schlussbild, das die Tänzer in kuriosen Schräglagen zeigt.

Meer der Möglichkeiten

Zu den treibenden Rhythmen von Pattie Smith' Song „Horses“ drehen die Tänzer in engen schwarzen Latexhosen dann auf. Wenn die formale Strenge von Clarks Tanzidiom auf die Punk-Attitüde von Pattie Smith trifft, erzeugt das heftige Reibung. Was durchaus reizvoll ist. Herausfordernd lassen sie die Hüften kreisen und brechen immer wieder aus der tänzerischen Disziplin aus. Clark fängt das Rebellische ein, die dunklen Seiten des Textes aber werden nur angedeutet. Etwa wenn Harry Alexander einen Schnitt an der Kehle seines Partners markiert. Der Tanz entfaltet hier eine hypnotische Qualität – auch dank des psychedelischen Videos „Painting by Numbers“ von Charles Atlas. Wenn Pattie Smith von einem „Meer der Möglichkeiten“ singt, springen die Tänzer vor Kreisen und Spiralen aus tanzenden Zahlen über die Bühne.

„My mother, my dog and clowns!“ hat Michael Clark seinen Bowie-Tribut überschrieben, „Blackstar“, den wehmütigen Titelsong von Bowies letztem Album, kombiniert er mit Songs aus den Siebzigern. Die Tänzer in ihren silbern glänzenden Trikots muten fast wie Außerirdische an, wenn sie ihre präzisen Bewegungen ziselieren – oder wie Astronauten, verloren im Weltraum. Die Tänzer trudeln in einer Art Trance durch die Dunkelheit. Melancholie wird spürbar, wenn die schwarz verhüllte Kate Coyne wie bei einer Geisterbeschwörung über die Diagonale schreitet. Die Elegie verfliegt am Ende, zu „Aladdin Sane“ wird der Tanz ausgelassen und anarchisch. Lustvoll zerlegt Clark hier sein striktes Tanzvokabular. „To a simple, rock'n’roll… song“ ist ein hinreißender Abend zwischen Form und Aufbegehren. Die famosen Tänzer begeistern – trotz mancher verwackelten Balance – mit ihrer Mischung aus Coolness und Strenge und werden vom Berliner Publikum enthusiastisch gefeiert.

Kritik am männlichen Blick

Der afroamerikanische Choreograf Trajal Harrell hat sich mit Voguing-Spektakeln einen Namen gemacht. Auch in seinem Stück „Caen Amour“ geht es wieder um Gender-Bending. Inspiriert wurde er diesmal von einem Tanzstil, der noch nie beim „Tanz im August“ zu sehen war. Der Hoochie Koochie ist ein erotischer, dem Bauchtanz nachempfundener Tanzstil aus den USA. Der Clou ist, dass hier die Männer den femininen Tanzstil zitieren. Thibault Lac und Ondrej Vidlar hüllen sich in Glitzertücher und Second-Hand-Klamotten und verwandeln sich mit wiegenden Hüften in Haremsdamen. Perle Palombe, eine Frau, ist für die Nackttanz-Darbietungen zuständig. Die Performance soll den Exotismus im Tanz ausstellen. Und natürlich soll dadurch der weiße männliche Blick kritisiert werden. Doch wirklich subversiv wirkt diese Hoochie-Koochie-Show nicht.

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