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Tanz im August: Schwarze Schwäne

"Schwanensee" und "Dornröschen" standen Pate für diese Inszenierung: Die kanadische Tanzkompanie LaLaLa Human Steps zeigt mit ihrem Stück "Amjad" beim Berliner Festival „Tanz im August“ eine temporeiche Choreografie.

Von Sandra Luzina

Die ganz großen Namen waren angekündigt zum Auftakt von „Tanz im August“. Anne Teresa de Keersmaeker und Edouard Lock in Berlin, die sinnlich-beschwingten Frauen der Compagnie Rosas treffen auf die rasanten Speed-Ballerinen von LaLaLa Human Steps. Aus dem lichten Rosas-Universum mit seinen transparenten Konstruktionen taucht man dann ins schwärzeste Dunkel, in dem die mysteriösen Nachtgeschöpfe von LaLaLa Human Steps herumspuken.

Den Anfang machten im HAU die belgischen Rosas mit ihrem im Februar 2007 uraufgeführten „Steve Reich Evening“ – der Abend erwies sich als Glücksfall für das größte deutsche Tanzfestival. Die Hommage an den amerikanischen Komponisten, einem der Pioniere der minimal music, bot einen faszinierenden Dialog von Musik und Tanz – dargeboten von den superben Tänzerinnen und den großartigen Musikern des Ictus Ensembles.

Der Abend versammelt Choreografien aus 25 Jahren, darunter Schlüsselwerke wie „Piano Phase“ und „Drumming“, und verfolgt damit den Weg von Anne Teresa de Keersmaeker – von den streng minimalistischen Anfängen zu den komplexen Tanz-Fugen mit ihrer mathematisch ausgetüftelten Organisation von Zeit und Raum. Der hellwache Tanz kreist um das Verschiedene im Gleichen und das Gleiche im Verschiedenen und entfaltet zuweilen einen hypnotischen Sog. Cynthia Loemij ist die herausragende Interpretin des Abends – sie sieht aus wie die junge Anne Teresa und verbindet wilde Tanzlust mit ausgefuchstem Formgefühl.

Zur Speerspitze der Avantgarde in den Achtzigern gehörten auch LaLaLa Human Steps aus Kanada. Ein aberwitziges Tempo und eine atemberaubende Virtuosität sind das Markenzeichen der kanadischen Supergroup. Für seine neue Produktion „Amjad“ lässt Édouard Lock sich von „Schwanensee“ und „Dornröschen“, den Ikonen des klassisch-romantischen Balletts, inspirieren. Die Komposition von Gavin Bryars greift geschickt Motive von Tschaikowsky auf und verfremdet diese. Dabei zielt „Amjad“ eher auf Dekonstruktion.

Über die Bühne im Festspielhaus flattern unerlöste schwarze Schwäne, die sich in mondsüchtigen Ritualen verausgaben. Spätere Paarung ausgeschlossen.

Bei Lock wurde schon immer über die Geschlechtergrenzen hinweggetanzt. Hier sind es die Männer, die eine sexuelle Ambiguität verkörpern. Ihre expressiven, exzentrischen Bewegungen künden von einer schmerzlichen Zerrissenheit. Sie beten nicht einfach die Ballerinen an, sie spiegeln sie auch, versuchen den Flügelschlag ihrer Arme zu imitieren – doch die Schwan-Werdung verwehrt ihnen Lock. Einer seiner exzellenten Tänzer tanzt am Ende à la pointe, dieser androgyne Prinz ist überhaupt eine der Attraktionen von „Amjad“. Hier kreuzen sich zwar hetero- und homosexuelles Begehren, doch in diesem Schizo-Ballett gibt es keine Erfüllung. „Amjad“ gleicht eher einem Delirium.

Die furiosen Pas de deux gleichen dann einem rabiaten Powerplay – die Tänzer meistern sie mit unglaublicher Bravour. Doch der Tanz tritt bei aller Raserei auf der Stelle. Und die Video-Projektionen, die wie Monde über der Szene schweben, tendieren zum schrecklichen Kitsch. Amjad übrigens ist arabisch und bedeutet so viel wie Erleuchtung. Die bleibt Lock an diesem Abend schuldig. Seine choreografischen Obsessionen laufen ins Leere.

„Amjad“ von LaLaLa Human Steps noch einmal heute, 20 Uhr, im Haus der Berliner Festspiele.

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