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Kultur: Tanz im Hitler-Stalin- Takt Berliner Volksbühne:

Puppentheater extrem

Der Historiker Eric Hobsbawn brauchte knapp 800 Seiten, um das vergangene Jahrhundert als „Zeitalter der Extreme“ zu beschreiben. An der Berliner Volksbühne geht das schneller, lustiger, aber nicht weniger extrem: In drei Stunden lassen sechzig Stabpuppen das 20. Jahrhundert Revue passieren, von Hitler bis Monroe, von Freud bis Kohl. Ein buntes Tableau, das Geschichte in Pop verwandelt: Goebbels, Einstein, Mao, Malcolm X, Arafat, der Kosmonaut Gagarin, Stalin und Kennedy – lauter Stabpuppen. „Ich bin berühmter als Jesus“, räsoniert die Lennon-Puppe. „Na und, ich auch“, kontert Mickey Mouse. So einfach funktioniert die Entzauberung der Ikonen: „Helden des 20. Jahrhunderts“. Die begnadete Puppenspiel-Künstlerin Suse Wächter hat die Puppen-Party zusammen mit dem Regisseur Tom Kühnel und den Autoren Jürgen Kuttner, Bernd Stegemann und Stefan Schwarz erfunden. Und weil Suse Wächter am Abend der Berliner Premiere schwer erkältet ist, spricht Kuttner ihre Texte. Er ist der kalauerndste Adenauer-, Hitler- und Stalin-Imitator, der sich denken lässt. Und hat einiges zu tun: Lenin spielt Rockgitarre, Adenauer rät während der Kuba-Krise dem amerikanischen Präsidenten, die Russen vorsichtshalber „wegzuradieren“, Hitler träumt schlecht und fragt Sigmund Freud, ob es normal sei, dass er dauernd „mit meiner Kacke spielen“ will, und Freud kann nicht anders, als heftig zu nicken.

Mit dem Ableben Queen Victorias, die als kleine schwarze Dame lustig durch die Lüfte ins Jenseits der Monarchen schwebte, hat der Abend begonnen. Das 19. Jahrhundert hat seinen letzten Stoßseufzer von sich gegeben, kurz darauf können die Herren Lenin und Trotzki den Zaren samt seinen Töchterchen in die Grube stürzen. Und weil die Geschichtsforscher Hannah Arendt gelesen haben, finden sie auch für die Totalitarismustheorie eine bösartige Szene: Nachdem Hitler und Stalin ihren Nichtangriffspakt geschlossen haben, dürfen ein Hitler-Junge und eine sowjetische Komsomolzin singen: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein ...“ So lässig wurde die Tocotronic-Hymne noch nie missbraucht. Das ist fast so lustig wie die Nummer, in der die Hitler-Puppe einen Grönemeyer-Hit singt. Unvermeidliche Besserwisser-Frage: Darf man das denn? Hitler und Stalin als komische Puppen? Klar darf man, wenn es so intelligent gemacht ist wie hier. Und am Ende singt Helmut Kohl mit Honecker und Gorbatschow ein schmachtendes Liebesterzett.

Wieder 28., 29.3., Volksbühne

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