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Pass auf. Lenah Strohmeier (Mitte) verbindet Welten.

© David Heerde

Tanztheater: Tanz im Transit

Die Lis:sanga Dance Company bringt Flüchtlinge im Flughafen Tempelhof auf die Bühne. Die Tanzszenen zeigen die Zerrissenheit zwischen Verzweiflung und Hoffnung.

Von Sandra Luzina

Dragana D. war sieben, als sie aus Bosnien fliehen musste. Mit dem letzten Bus verließ sie Bugojna – und sah schon die Serben anrücken. Mit zwölf Jahren kam sie als Flüchtling nach Deutschland. Heute ist Dragana eine selbstbewusste junge Frau von Mitte zwanzig. Sie hat eine Ausbildung zur Erzieherin absolviert, 2008 erhielt sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Schrecken denkt sie aber an die Jahre zurück, als sie keinen geregelten Status hatte. An die unzähligen Tage, die sie bei der Ausländerbehörde verbracht, wo sie doch lieber in die Schule gegangen wäre. „Du wirst behandelt, als wenn du das Letzte bist. Du wirst eben nur geduldet.“

Draganas Erfahrungen sind eingeflossen in das Tanztheaterprojekt „Pass“, das Geschichten über Flucht, Asyl und Abschiebung miteinander verwebt. Die Lis:sanga Dance Company führt ihr neues Stück am passenden Ort auf: im Transitbereich des Flughafens Tempelhof. Kurz vor der Premiere verlaufen die Proben etwas chaotisch, doch die Choreografin Lenah Strohmaier kann sich auf ihr Team verlassen – in jeder Hinsicht.

Royston Maldoom, der Choreograf von „Rhythm Is It!“, hat die Schirmherrschaft übernommen, denn Lis:sanga arbeitet in seinem Sinne. Die Truppe ist 2006 aus der Produktion „Krieg“ hervorgegangen: Potsdamer Jugendliche, die in die rechte Szene geraten waren, trafen da auf jugendliche Asylbewerber. Heute gehören der Gruppe 60 Darsteller aus 15 Nationen an. Berliner Jugendliche und Senioren stehen mit Migranten aus der ganzen Welt auf der Bühne. Ihre Lebensrealitäten könnten nicht stärker divergieren, doch der Tanz verbindet sie. Die wichtigste Regel: Keiner wird ausgegrenzt.

„Wie Lenah Strohmeier professionelle Tänzer und Laien integriert, ist außergewöhnlich“, schwärmt Marcia Pally. Die amerikanische Publizistin, eine ausgebildete Tänzerin, hat einen kleinen Part in „Pass“ übernommen und begeistert sich für den „Spirit“ von Lis:sanga: „Ich habe kaum jemals eine Gruppe von Menschen getroffen, die so großzügig und hilfsbereit sind. Und so neugierig aufeinander.“

Parallel zu ihrer künstlerischen Tätigkeit engagierte sich Strohmeier mehrere Jahre als Entwicklungshelferin. Die gebürtige Berlinerin ist überzeugt, dass der Tanz auch schwierige Themen vermitteln kann. Die Anregung zum Projekt entstand aus der Gruppe selbst – als wieder einer der Lis:sangas abgeschoben werden sollte. Die Darsteller spielen nicht sich selber, sondern schlüpfen in die Haut eines anderen. „Pass“ basiert auf zahlreichen Interviews und will in erster Linie aufklären: „Was heißt das, kein Aufenthaltsrecht zu haben? Wie läuft das, wenn man abgeschoben wird? Viele der Befragten sagen, dass man sich irgendwann nicht mehr als Mensch fühlt. Man zerbricht innerlich“, erzählt Strohmeier.

Ist die Bundesrepublik zum Abschiebeland geworden? „Pass“ macht auf die Dramen aufmerksam, die sich unbemerkt abspielen. „Was mich am meisten erschreckt in Deutschland“, sagt Strohmeier, „ist dieses undurchsichtige Nicht-System. Es gibt Leute in der Gruppe, die schon zwölf Mal abgeschoben wurden.“

Die Tanzszenen zeigen die Zerrissenheit zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Sie schildern den langen Weg ins Ungewisse, die zermürbende Zeit des Wartens. „Pass“ ginge nicht nur emotional an die Substanz, mit dem aufwändigen Projekt gerate sie auch an ihre Grenzen, gesteht Strohmeier. Denn sie muss die Aufführung mit über 50 Mitwirkenden ohne öffentliche Gelder stemmen, alle arbeiten auf ehrenamtlicher Basis: „Wir fallen zwischen die Fördertöpfe.“ Das ist eigentlich skandalös, denn das Projekt besitzt Modellcharakter – auch durch seinen künstlerischen Anspruch. Wenn Junge und Alte, Asylsuchende und Migranten so hinreißend zu Schubert tanzen, ist das keine Sozialarbeit.

Aber auch praktische Hilfe steht auf der Tagesordnung. Strohmeier ist froh, dass das Netzwerk auch ohne sie funktioniert. Wenn sie wieder einmal in Skandinavien choreografiert, um Geld zu verdienen, läuft die Arbeit weiter. „Als Idee steht dahinter, dass man sich findet und austauscht. Es geht weniger darum, den armen Verfolgten zu helfen. Das hier ist auch Entwicklungshilfe für die Deutschen.“

Premiere 27. August, 20.30 Uhr. Weitere Vorstellungen 28. und 29. August, Flughafen Tempelhof / Treffpunkt Haupteingang

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