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Disco für alle. Die japanische Gruppe Faifai und ihr Stück „Shibahama“.

© Kazuya Kato

Tanz-Performance: Party und Propaganda

Das Performance-Festival Leaving the Comfort Zone im Berliner Hau versammelt extrem unterschiedliche Arbeiten von Künstlern aus Tokio, Jakarta und Peking. Sie bieten eine subjektive Sicht auf die Vergangenheit.

Von Sandra Luzina

„Tante, was hast du 1966 gemacht?“ fragt die junge Li Xinmin – und bewegt sich damit auf vermintem Gelände. Denn die Fragen zielen auf die Kulturrevolution unter Mao. Die Choreografin Wen Hui vom Living Dance Studio in Peking, Jahrgang 1960, macht sich in „Memory“ auf die Suche nach der verlorenen Zeit. Mit sieben Jahren kam sie zu den jungen Pionieren, mit 13 besuchte sie eine Tanzschule, in der revolutionäre Ballette eingeübt wurden. „Das Mädchen mit den weißen Haaren“ war ihr Lieblingsstück. „Versuchen, sich zu erinnern“ – dieses Motto stellt Wen Hui ihrer Gedächtnis-Performance voran, die zugleich eine Lebensrecherche ist. Die Performance handelt von der Schwierigkeit des Erinnerns jenseits der offiziellen Geschichtsschreibung. Sich die eigene Biografie zu vergegenwärtigen heißt hier, sich die ideologischen Prägungen bewusst zu machen. Einer der ersten Sätze Wen Huis lautet: „Ich versuche, mich an meinen Körper zu erinnern, als ich ein Kind war.“

Ein Netz aus durchsichtiger Gaze umhüllt die beiden Darstellerinnen, es schließt sie ein wie ein Kokon. Auf diese Leinwand werden Familienfotos projiziert, die Wen Hui als Junge Pionierin zeigen mit Mao-Mütze und rotem Büchlein, Szenen aus Revolutionsballetten werden Ausschnitte aus Wu Wenguangs Dokumentarfilm „1966, Meine Zeit bei der roten Garde“ gegenübergestellt. Die Parolen und die Propagandabilder mit ihren pathetischen Körperinszenierungen überlagern die mündlichen Erzählungen. Doch das geduldige Frage-Antwort-Spiel fördert Abgründiges zutage. Die junge Frau will von der „Tante“ – so spricht man in China die ältere Frau an – alles wissen: Wie war das mit der Selbstkritik? Hast du jemanden angezeigt? Hast du das alles geglaubt?

Wie in Zeitlupe rückt Wen Hui während der einstündigen Performance vor an die Rampe, den Oberkörper rückwärts gebeugt – als ob sie gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen müsse. Gegen eine Mauer des Schweigens anrennt. Die junge Performerin mit den Zöpfen schiebt derweil ihren Nähwagentisch einmal um die Bühne und beginnt dann, sich umständlich zu waschen. Man fragt sich, was dieses Reinigungsritual soll, denn Li Xinmin wirkt völlig unberührt von der Geschichtslektion. „Memory“ mit seiner fast schon meditativen Langsamkeit erfordert einen geduldigen Zuschauer. Es ist ein mühevoller Prozess, sich an das kollektiv Verdrängte zu erinnern – das zeigt die Performance, die aber immer wieder ins Formelhafte gleitet.

Das Living Dance Studio in Peking hat sich seit seiner Gründung 1994 mit politisch brisanten Aufführungen einen Namen gemacht. Von „Memory“ wurden beim Festival „Leaving the Comfort Zone“ im Hebbel am Ufer zwei Versionen gezeigt – neben der komfortablen einstündigen Fassung auch ein Acht-Stunden-Gedächtnismarathon. Den Chinesen war es jedenfalls ernst damit, sich von bequemen Denkmustern zu verabschieden.

Das Festival im Hau, das im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen stattfindet, versammelt extrem unterschiedliche Arbeiten von Künstlern aus Tokio, Jakarta und Peking. Die chinesische Produktion wurde bei der Eröffnung von zwei Leichtgewichten flankiert. Es gehört schon eine gewisse Chuzpe dazu, mit Jecko Siompo zu behaupten „Hip hop was born in Papua“. Als der Choreograf zum ersten Mal Hip-Hopper in den Straßen von Jakarta sah, staunte er nicht schlecht: Die B-Boys tanzten genauso wie sein Urgroßvater in West-Papua! Der wilde Stilmix, den er selbst „Animal Pop“ nennt, begeistert aber auch die Ungläubigen.

Siompo verschmilzt in „We came from the east“ die rasanten Moves des Breakdance mit geschmeidigen Tierbewegungen. Die Männer und Frauen des neunköpfigen Ensembles tollen ausgelassen über die Bühne, stoßen tierische Laute aus, die jeden brünftigen Schimpansen anlocken würden. So eine Dschungelparty auf Papua-Art ist schon sehr lustig. Und wie sich Siompo die westlichen Formen anverwandelt, zeugt von schönem Selbstbewusstsein.

Noch aufgekratzter sind dann die poppigen Japaner von Faifai, die das Hau 3 in eine Disco verwandeln. In „Shibahama“ wird eine Geschichte des Rakugo, das ein Theater für Arme war, mit den Mitteln der TV-Show dargeboten. Intellektuell überfordert wird hier gewiss niemand – nicht von der Karaoke-Hostess oder dem tanzenden Karpfen. Das Publikum nimmt’s locker und kommt sogar der Aufforderung nach, eine La-Ola-Tsunami- Welle zu bilden.

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