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Kultur: Tanz um den goldenen Zahn

Zurück aus dem Westen: Frank Castorf bringt seine „Gier“ nach Frank Norris an die Volksbühne

Eine gute Nachricht vorweg. Es ist kürzer geworden. Um rund eine halbe Stunde hat Frank Castorf seine Inszenierung von „Gier nach Gold“ seit der Premiere vor drei Wochen in Recklinghausen (Tagesspiegel vom 2. Mai) eingekürzt. Das hat dem Abend gut getan: Er ist konzentrierter geworden. Kraftvoller. Und intimer.

Was natürlich auch an den Raumverhältnissen in der Volksbühne liegt. Anders als der Sechzigerjahre-Betonbunker auf dem Grünen Hügel von Recklinghausen ist Oskar Kauffmanns Haus am Rosa-Luxemburg-Platz bei aller Größe ein Wohnzimmer. Die breite Schlammstraße, die sich in Recklinghausen noch ins Unendliche dehnte, stößt hier an die Grenzen des halbrunden Bühnenhorizonts. Bert Neumanns Barackenstadt, in Recklinghausen noch um einige Bauten vor dem Haus ergänzt, wirkt in Berlin fast miniaturhaft. Der Zuschauer sitzt nah an der Bühne und bekommt das Geschehen, Schlamm-Spritzgefahr eingeschlossen, geradezu hautnah mit. Überhaupt: Es fehlt die Weite des Westens. Und es herrscht die Vertrautheit des Ostens.

Was man auch den Schauspielern anmerkt, die, verglichen mit Recklinghausen, noch mehr zu sich gefunden haben. „Gier“ in Berlin, das ist ein Heimspiel, aufs Schönste geölt, aufs Beste entkrampft, nichts mehr geblieben von der Anspannung, dem Befremden, das in der fremden, manchmal fast feindlichen Atmosphäre im Ruhrgebiet zu spüren war. Bernhard Schütz und Milan Peschel als das in Hassliebe verbundene Freundespaar McTeague und Marcus Schouler haben sich auf einen gemeinsamen Ton eingenölt, in dem man, so deutlich wie selten, Frank Castorf himself zu hören meint. Die Anleitung zum Kartenkauf, der wegen unvereinbarer Wünsche („Ich möchte vorn, rechts und weit weg von den Pauken sitzen“) fast in eine Schlägerei mündet, ist Kulturverweigerung vom Besten. McTeagues Mitleid mit der der Geld- und Goldgier verfallenen Trina – Erbarmen pur. Und in der Vision einer neuen Welt, über der wir alle wohlmöglich zu Grunde gehen müssen, klingt hier weit weniger Sprengstoff, weit mehr Resignation mit als in Recklinghausen.

Andererseits sind die Töne durchaus schärfer geworden: Birgit Minichmayr, neue First Lady im Volksbühnenensemble, halb Björk, halb Westernbraut, hat im Ehekonflikt mit ihrem Dentisten McTeague noch einige Zähne – keine goldenen – zugelegt: Angesichts der Bitterkeit, mit der hier das alte Thema „Ich arbeite, du säufst“ verhandelt wird, wirkt das späte Glück eines Rentnerpaars (von altmodischer Höflichkeit: Susanne Düllmann und Joachim Tomaschewsky) erst recht als hilflose Utopie. Überhaupt, die Frauen: Silvia Rieger als mysteriöse mexikanisch-polnische Losverkäuferin Maria Macapa, Brigitte Cuvelier als Animierdame Selina – sie haben alle verloren in dieser Männerwelt, auch wenn sie zunächst das große Los, die Liebe und das Glück gezogen zu haben scheinen. Am Ende von Gier steht immer Gewalt, Wahnsinn, Tod. Und die Moral von der Geschicht’? Der Mensch ist des Menschen Hund.

Wieder 27., 28. und 30. Mai sowie 10., 18.-20. und 22. Juni, jeweils 19 Uhr.

Christina Tilmann

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