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Kultur: Tanzen, sterben

Patricia Kopatchinskaja im Konzerthaus.

Es ist keine fertige Gestalt, sondern ein work in progress, was die Geigerin Patricia Kopatchinskaja aus dem D-Dur-Konzert von Tschaikowsky macht. Charakteristisch, dass sie die Noten ihrer Violinstimme selbst mit ihrem Instrument aufs Podium trägt. Die Blicke, die sie mit dem Dirigenten Heinrich Schiff wechselt, unterstreichen das Improvisatorische des Ereignisses. Überraschend zart und seidig intoniert sie das Hauptthema des ersten Satzes, um über unzählige Beleuchtungswechsel der Klänge in rauschende Virtuosität zu geraten. Kopatchinskaja steht mitten in der Musik und lauscht mit sichtbarer Teilnahme, wenn das Konzerthausorchester allein spielt. Zum Zerspringen artistisch bewegt sich die moldawische Musikerin in ihrer Interpretation, die nicht nach Schönheit jagt und nicht vollendet ist, aber immer gespannt. Sie lässt ahnen, dass die Komposition in der Nähe des „Eugen Onegin“ entstanden ist. Dazu gehört auch Verhaltenheit an der Grenze des Hörbaren. Hier siegt das Russische über den mondänen Salonton, weil der Musik keinerlei Aufdringlichkeit unterschoben wird: Ein bisschen Geheimnis bleibt bei jeder Begegnung mit der barfüßigen Geigerin.

Das Zirzensische der Suite Nr. 2 (1921) von Igor Strawinsky (der sich zum Spaß Diaghilew als Zirkusdirektor in Frack und Zylinder vorgestellt hat) wird kaum mehr als polternd realisiert. Bei Prokofjew aber ändert sich das Bild. Die Ballettmusik zu „Romeo und Julia“ spricht Heinrich Schiffs Musikerseele direkt an, was nicht nur eine kleine Zwischenmoderation über die Satzfolge zeigt. Und da der Dirigent sich (ohne sein Cello!) frei bewegen kann, schafft er mit dem Orchester im Konzerthaus eine Atmosphäre, in der die Shakespeare-Figuren vor unserem inneren Auge tanzen und sterben. Sybill Mahlke

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