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 Germaine Acogny, Jahrgang 1944, Choreografin von „Afro-dites“.

© Antoin

Tanztheater: "Ich tanze bis an mein Lebensende"

Germaine Acogny ist die Grande Dame des afrikanischen Tanzes, sie hat Bewegungen wie „der Hirsch“ und „das Perlhuhn“ erfunden und eine legendäre Tanzschule gegründet. Nun gastiert sie mit ihrer Compagnie Jant-Bi beim Movimentos-Festival. Es ist das erste mal, das eine Truppe aus Afrika in Wolfsburg dabei ist. Ein Gespräch.

Von Sandra Luzina

Erstmals gastiert beim Movimentos-Festival in Wolfsburg (siehe Kasten) eine afrikanische Tanzcompagnie. Germaine Acogny, geboren 1944, die Grande Dame des afrikanischen Tanzes, hat mit neun senegalesischen Frauen gearbeitet und sie mit ihrem Sohn Patrick ermutigt, ihre Erfahrungen auf die Bühne zu bringen. „Afro-dites/ Kaddu Jigeen!“ heißt das Ergebnis und feiert am 11.4. Deutschlandpremiere in der Autostadt. Unsere Autorin hat vorab mit der Choreografin in Dakar telefoniert.

Madame Acogny, als kleines Mädchen nannte man Sie „la folle“, weil Sie so wild tanzten. Sind Sie immer noch so verrückt?
Aber ja. Ohne eine Portion Verrücktheit könnte ich meine Arbeit nicht machen.

Sie haben in der Nähe von Dakar die École des Sables gegründet, gemeinsam mit Ihrem deutschen Ehemann Helmut Vogt. Was zeichnet die Tanzakademie aus, außer dass sie direkt am Meer liegt?
Ganz Afrika ist hier im Tanz vereint. Junge Tänzer entdecken die traditionellen Tänze wieder und bekommen so eine Basis für die eigene Kreation. Mein Sohn Patrick lehrt sie, wie sich aus dem tänzerischen Erbe Afrikas ein zeitgenössischer Tanzstil herausbilden lässt. Daneben gibt es Theorieklassen über die Geschichte des Tanzes, auch die des westlichen.

Sie haben eine eigene Tanztechnik entwickelt. War die Natur Ihre Lehrmeisterin?
Mit den jungen Tänzern arbeite ich auch in der Savanne, wir beobachten Bäume, Pflanzen, Tiere. Meine auf Kontraktionen, Vibrationen und Wellenbewegungen beruhende Technik betont die Arbeit mit der Wirbelsäule, die ich als Baum oder Schlange des Lebens betrachte.

Sie bringen den Körper in direkte Verbindung zum Kosmos: Der Po heißt der Mond, die Brust die Sonne, das Schambein die Sterne. Und Sie haben Bewegungen kreiert, die zum Beispiel „der Hirsch“ heißen.
Meine Technik umfasst ungefähr 60 kodifizierte Bewegungen. Sie tragen Namen wie „der Kapokbaum“, „die Seerose“, „das Perlhuhn“ oder „der Büffel“.

Eins Ihrer Tanzstudios heißt wie Ihre Großmutter Alophoo, eine Yoruba-Priesterin. Was haben Sie von ihr gelernt?
Das müssen Sie sich anders vorstellen: Ich bin die Reinkarnation meiner Großmutter, habe sie aber nie kennengelernt. Es geht mir nicht um Religion, sondern um Spiritualität. Ein Beispiel: Bevor wir in der École des Sables mit dem Unterricht beginnen, machen wir ein kleines Ritual, um die gemeinsame Energie zu spüren. Wir bilden einen Kreis und wünschen uns einen guten Tag. Ich habe Yoruba in die moderne Zeit übertragen, gleichzeitig leben wir in enger Verbindung mit der Natur.

Sie bewegen sich zwischen den Kulturen, haben in Frankreich und im Senegal gelebt. Als Sie mit neun Jahren nach Frankreich zogen, um später den westlichen Tanz zu studieren, war das ein Schock?
Der Lehrer, der mich anfangs im klassischen Ballett unterrichtete, war nicht sehr offen. Ich war erst schockiert, habe dann aber entdeckt, dass es immer darum geht, meinen Körper im Raum zu platzieren. Später arbeitete ich mit Maurice Béjart zusammen, er zeigte mir, dass mein Tanz und das Ballett sehr ähnlich sind. Man muss im Boden verwurzelt sein wie ein Baum, um sich aufrichten zu können.

Man nennt Sie auch die Mutter des afrikanischen Tanzes. Was musste geschehen, damit er sich als Kunstform etabliert?
Früher war der Tanz in Afrika etwas Alltägliches, es gab nicht die Kunst um der Kunst willen. Nun findet er auf der Bühne in einem zeitgenössischen Kontext statt. Wenn sich die Tradition nicht weiterentwickelt, dann stirbt sie. Die europäische Folklore ist längst tot, unser tänzerisches Erbe ist lebendig geblieben.

Es geht um Gewalt-Erfahrungen. Aber Gewalt gegen Frauen gibt es auch anderswo, das Stück wird überall verstanden

Die Compagnie Jant-Bi arbeitet in der Nähe von Dakar, direkt am Meer. Im Stück "Afro-Dites" treten neun Tänzerinnen auf, die ihre eigenen Erfahrungen verarbeiten, auch die von Gewalt und Unterdrückung. Es ist das erste Mal, dass eine afrikanische Tanztruppe zum Festival in die Autostadt Wolfsburg kommt.
Die Compagnie Jant-Bi arbeitet in der Nähe von Dakar, direkt am Meer. Im Stück "Afro-Dites" treten neun Tänzerinnen auf, die ihre eigenen Erfahrungen verarbeiten, auch die von Gewalt und Unterdrückung. Es ist das erste Mal, dass eine afrikanische Tanztruppe zum Festival in die Autostadt Wolfsburg kommt.

© Movimentos/ Thomas Dorn

Der Compagnie Jant-Bi Jigeen, mit der Sie nun bei Movimentos gastieren, gehören nur Frauen an. Warum das?
In unseren ersten Produktionen tanzten ausschließlich Männer, das war auch gut so. Nun ist es an der Zeit, die Frauen zu unterrichten, damit sie mit ihrem Körper von ihren spezifischen Problemen erzählen, von ihrer Freude, ihrem Schmerz.

Sind Sie als emanzipierte Frau und international gefeierte Künstlerin ein Vorbild für die jungen Tänzerinnen?
Sie fragen mich: Wie können wir so werden wie du? Ich antworte: Indem du du selbst bist. Meine Hoffnung ist, dass ich ihnen helfen kann zu wachsen. Wobei sich die Frauen bei „Afro-dites/Kiddu Jigeen!“ interessanterweise meinem Sohn Patrick mehr anvertraut haben als mir. Er ist wie ein großer Bruder für sie, ich habe den Prozess begleitet und ihn beraten.

Zwischendurch kommt Patrick Acogny ans Telefon und erläutert, wie „Afro-dites“ das Leben der Frauen in poetische Bilder übersetzt. Es geht um Religion, Tradition, die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die Beziehung zu den Männern und den Mut, Nein zu sagen. „Die Gesellschaft erwartet von ihnen, immer Ja zu sagen, zu Vater und Mutter, den großen Brüdern und Schwestern, dem Ehemann. Irgendwann kommt ein Punkt, wo es reicht.“ Es sei nicht leicht gewesen, sich auch mit dem Thema Gewalt auseinanderzusetzen, fügt er hinzu.

Madame Acogny, war es schmerzhaft für die Tänzerinnen, sich auch mit sexueller Gewalt und Diskriminierung zu befassen?
Bei den Improvisationen wurde das deutlich. Eine der Frauen ist vergewaltigt worden, sie hat sich Patrick anvertraut. Aber die Tänzerinnen haben über die Arbeit ein größeres Selbstbewusstsein gewonnen, sie sind sehr stolz auf das, was sie machen. Das Stück spricht von Themen, die spezifisch afrikanisch und zugleich universell sind. Als wir einmal in Luxemburg waren, verfolgten überwiegend Frauen die Proben. Sie verfügen nicht über unsere Codes, dennoch wussten sie sofort, worum es geht. In einer Szene geht es um Polygamie: In Europa haben die Männer Geliebte, das ist im Grunde dasselbe.

Wie hat das Publikum im Senegal auf das Stück reagiert?
Am Ende standen alle auf und applaudierten. Und die Männer riefen: Wir sind doch eure Männer, tut uns nichts!

Ist Gewalt gegen Frauen ein großes Problem in der senegalesischen Gesellschaft?
Gewalt gegen Frauen gibt es auch anderswo. Der Mensch ist doch überall derselbe. Aber Afrika wird immer dämonisiert. Es wird gesagt: Die Schwarzen sind Wilde. Das muss endlich aufhören. In meinen Stücken zeige ich Schwarze und Weiße als gleichgestellt.

Wir im Westen denken, der Tanz ist nur etwas für Junge. Wie ist das bei Ihnen, wird der Tanz Sie Ihr Leben lang begleiten?
Ich werde im Mai 69 und denke nicht daran aufzuhören. Kürzlich gab ich einen Workshop für ältere Menschen, darunter 80-Jährige, die noch tanzen. Man kann sein ganzes Leben tanzen. Ich jedenfalls werde weitertanzen, bis ich sterbe.

Das Gespräch führte Sandra Luzina. Informationen zum Programm und zu den Rest-Tickets (viele Veranstaltungen sind ausverkauft): www.movimentos.de

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