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KUNST Stücke: Tapetenwechsel

Die Futuristen? Waren das nicht diese italienischen Künstler, die den Krieg verherrlichten, Frauen verachteten und ein für allemal mit der Tradition brechen wollten?

Die Futuristen? Waren das nicht diese italienischen Künstler, die den Krieg verherrlichten, Frauen verachteten und ein für allemal mit der Tradition brechen wollten? So zumindest äußerte sich Filippo Tommaso Marinetti in seinem Manifest von 1909. In der Ausstellung Futuristi – Kampf Maschine in der Galerie LEVY (Rudi-Dutschke-Str. 26, bis 2. Juli) lässt der italienische Maler und Psychoanalytiker Ernesto Tatafiore die Anarchisten ein Jahrhundert später wiederkehren. Auf über drei Quadratmeter großen Gemälden porträtiert der Endsechziger futuristische Künstler wie Luigi Russolo, Carlo Carrà und Gino Severini. Ihre antibürgerliche Gesinnung gut versteckt unter Melonen, Querbindern und schwarzen Mänteln, die Zigarette lässig im Mundwinkel. Anderen verpasst er überdimensionierte „Kampfkrawatten“. Auf unterschiedlichstem Material (1800 – 22 000 Euro) spielt Tatafiore mit den Motiven der Avantgardisten: freizügige Frauengestalten in grellroter Farbe, Kampfwesten aus Reispapier, darauf Messer, Hämmer, Pistolen. Collagen aus schimmeligen Tapeten, Fotos von Panzerwagen. Es geht um Gewalt, Technik und Geschwindigkeit: Flugzeuge, die Bomben auf Neapel werfen, rote Rennwagen, elektrische Hüte.

In der Ausstellung Striped Bare greift die Amerikanerin Meredyth Sparks ebenfalls auf das frühe 20. Jahrhundert zurück. Zu ihren Inspirationen zählen Duchamps Readymades, suprematistische Textildesigns sowie ein Buch über den Brand einer New Yorker Fabrik 1911. Ihre Herangehensweise ist radikal: Sie spannt Digitaldrucke von Kommoden, Heizkörpern und Fenstern auf Leinwand und setzt diese in zweidimensionale Räume ein. Als Tapeten und Teppiche dienen ihr ausgefallen gemusterte Stoffe, die sie mit den Bildern vernäht (12 500 – 28 000 Euro). Die Fäden sind bewusst so angebracht, dass dahinter die Wand der Galerie VeneKlasen/Werner sichtbar wird (Rudi-Dutschke-Str. 26, bis 18. Juni).

„Extractions“ nennt Sparks, Jahrgang 1972, die großformatige Werkreihe, die einen surrealen Raumeindruck vermittelt. Auf sechs Bildern nebeneinander taucht jedes Mal der gleiche holzverkleidete Heizkörper auf – nur der „Raum“ ändert sich. Die Künstlerin schenkt dem Wärme spendenden Objekt eine Aufmerksamkeit, die ihm sonst selten zuteil wird. Neben Skulpturen aus Silberlöffeln und gestreiften Sitzpolstern finden sich Leinwandfragmente, die Sparks zusammengenäht und mit schwarzweißen Scans bedruckt hat. Sie entstammen einem Buch über den Brand der Triangle Shirtwaist Factory in Manhattan, der 146 junge Näherinnen das Leben kostete. Sparks benutzt die Seiten als Palimpsest und setzt den Frauen hundert Jahre nach ihrem Tod ein künstlerisches Denkmal.

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