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Kultur: Tausend Farben, tausend Schatten

Eine Stuttgarter Ausstellung über Hans Holbeins „Graue Passion“ entstaubt die altdeutsche Malerei

Mit gekreuzten Fingern fordert der Mob den Tod. Die Mienen der Menschen mit ihren weit aufgerissenen Mündern sind hassverzerrt. Soldaten in klirrenden Rüstungen halten den Gefangenen in Schach. Im Hintergrund wartet Pontius Pilatus auf das Urteil der Menge. Inmitten seiner lärmenden Gegner strahlt der von Schmerzen gebeugte Jesus friedliche Stille aus.

Wie einen Cliffhanger setzt Hans Holbein d.Ä. die Szene „Ecce Homo“ in seiner Darstellung der Leiden Christi ein – als Schlussbild auf der Außenseite der Altarflügel. Im Innern des Retabels wechselt das Licht und es beginnt die Passage vom Leben zum Tod und darüber hinaus.

Monochrom ist sie nicht, die Graue Passion von Hans Holbein dem Älteren. Nach der zweijährigen Restaurierung der zwölf quadratischen Altartafeln zeigt sich, wie punktgenau der Maler seine Farben einsetzte. Das schwere Grün der Dornenkrone, das dunkle Rot der Wunden, die helle Haut. Auch den Originalhintergrund – ein nächtliches Grünblau – legten die Restauratoren frei. Für die Rüstungen und Gewänder aber verwendet Holbein die Farbe Grau in all ihren Schattierungen, während es sich auf den Innenflügeln des Altars in golden schimmerndes Ocker verwandelt.

Warum reduziert ein für seinen Farbenreichtum berühmter Künstler seine Palette derart radikal? Noch immer gibt dieses singuläre Werk der Spätgotik Rätsel auf. Mit der exquisiten Landesausstellung „Hans Holbein d.Ä.: Die Graue Passion in ihrer Zeit“ präsentiert die Staatsgalerie Stuttgart neueste Erkenntnisse aus einer wissenschaftlichen Untersuchung und Restaurierung, die mit 400 000 Euro zu Buche schlug. Und sie macht neugierig auf die altdeutsche Malerei, die nach ihrer Indienstnahme durch die Nationalsozialisten fast in Vergessenheit geraten war.

Der ursprüngliche Aufstellungsort des Altaraufsatzes ist bis heute unbekannt. Kuratorin Elsbeth Wiemann hofft jedoch, bald eine neue Spur verfolgen zu können. Entstanden ist die Graue Passion um 1500, erstmals dokumentiert wurde sie 1853, als sie in den Besitz der Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen Donaueschingen überging. 2003 konnte die Staatsgalerie nach einem Spendenaufruf den Bilderzyklus für 13,2 Millionen Euro erwerben. Ursprünglich bestand er aus sechs doppelseitig bemalten Holztafeln, die später längs auseinandergesägt wurden. Die eigentliche Kreuzigungsszene befand sich vermutlich als geschnitzte Skulpturengruppe zwischen den beiden Flügeln, ging aber verloren.

Auch die Lebensdaten des Künstlers liegen im Vagen. Hans Holbein d.Ä. wurde um 1465 geboren, er wuchs in Augsburg auf. Ein Selbstporträt zeigt ihn als schwerfälligen Mann mit fleischigem Gesicht und langem Vollbart. Seine Lehrjahre führten ihn wahrscheinlich nach Köln, vielleicht auch nach Brügge und Gent. Jedenfalls lernte er die niederländische Malerei mit ihrem neuen Blick auf die Wirklichkeit kennen: Die Ausstellung zeigt zwei Grisaillen von Jan van Eyck, der sein ganzes Können einsetzte, um steinerne Skulpturen mittels Graumalerei täuschend echt nachzuahmen.

Auch wenn Holbein die Farbtechnik übernahm, die Wirkung seiner Malerei ist eine andere. Er zeigt Menschen aus Fleisch und Blut, verwendet besondere Sorgfalt auf die Gesichtszüge und das Inkarnat, die Farbe der Haut. Er verdichtet die dramatischen Szenen auf ihre Quintessenz – die Überwindung von Gewalt und Tod. Bei der Komposition orientiert er sich an einem Kupferstichzyklus Martin Schongauers, der ebenfalls in Stuttgart zu sehen ist. Aber Holbein arbeitet theatralischer, beschränkt die Handelnden auf wenige, klar identifizierbare Personen, so dass sich die Tragödie noch aus der Ferne lesen lässt. Der Sohn, der seinen Vater anfleht, ihn zu verschonen. Der Verrat des Freundes, die Geißelung. Und bei Kreuzabnahme und Grablegung löst der goldene Schimmer der Heiligenscheine den kriegerischen Glanz der Rüstungen ab.

Die Restauratoren konnten erstaunliche Erkenntnisse über Holbeins Maltechnik gewinnen. In jeder einzelnen Farbe fanden sie Glasstaub und Quarzsplitter, eine Beimischung, der die Bilder ihre einzigartige Leuchtkraft verdanken. Grau und Glas, das ist Holbeins Formel, um Leid in Licht zu verwandeln.

Mit vier weiteren Passionszyklen auf Papier ordnet die Ausstellung Hans Holbein d.Ä. als Künstler des Übergangs ein, zwischen Spätgotik und Renaissance. Am aufregendsten: Dürers „Grüne Passion“, dessen fragile Blätter die Wiener Albertina nur alle 25 Jahre ausleiht. Der sechs Jahre jüngere Dürer zeichnet seine Geschichte eleganter als Holbein, dessen Figuren sich manchmal ungelenk verkanten. Dürer umkreist den Leib Christi, er bleibt deutlich im Diesseits. Nur die halbwirkliche Stimmung der fast monochromen Szenen vor dem grün grundierten Hintergrund ähnelt der „Grauen Passion“.

Heutige Betrachter erwischt dieses Stilmittel des Farbentzugs verblüffend direkt. Mit der Seherfahrung zeitgenössischer Graumalerei, wie sie Gerhard Richter oder Luc Tuymans verwenden, um kollektive Traumata ins Bewusstsein heben, wirkt die luzide Sparsamkeit Holbeins seltsam vertraut. Explizit stellt die Stuttgarter Staatsgalerie solche Bezüge nicht her. Aber sie präsentiert ihren Solitär mit viel Raum in wohltuender Klarheit. Da gelingt es der Ausstellung, die 500 Jahre alte Malerei von Hans Holbein d.Ä. bis in die Gegenwart strahlen zu lassen.

„Hans Holbein d. Ä.: Die Graue Passion in ihrer Zeit“. Staatsgalerie Stuttgart, bis 20. März, Mi, Fr - So 10 - 18 Uhr, Di und Do bis 20 Uhr

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