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taz-Kolumne: Der gefälschte Seehofer

62 Prozent der "taz"-Leser votierten auf deren Internetseite, dass Seehofer doch recht habe. Was war da los?

VERBOTEN ist eine liebens- und oft sehr lesenswerte kleine Kolumne auf der ersten Seite der „taz“. Da wird meist Position bezogen, klare Kante, alte linke Schule, kein Konsens-Gewäsch, sondern auf den Punkt gebracht. Gestern musste man annehmen, dass all die klaren Worte verhallen und VERBOTEN vergeblich ist. Im inneren des Blattes veröffentlichte die Redaktion die Entscheidung des Tages, eine Onlineumfrage unter „taz“-Lesern, ob man Horst Seehofer noch ernst nehmen könne. Man muss dazu noch erwähnen, dass das Blatt kein Blatt vor den Mund genommen hat, nachdem Bayerns Ministerpräsident in der Zuwanderer- und Integrationsdebatte ohne Hirn und Verstand vor sich hin sarraziniert hat.

Aber das muss nicht überraschen, überraschen und entsetzen indes durfte das Umfrageergebnis. 62 Prozent der „taz“-Leser votierten, dass Seehofer doch recht habe. 62 Prozent! Der „taz“-Leser! Drehen jetzt alle durch? Waren über 30 Jahre Aufklärungsarbeit der „taz“ umsonst? Hat sich nun auch das Blatt, wie die Politik, von der Basis entfernt, weiß nicht mehr, was die eigenen Leser denken und fühlen? Oder geben sich nun auch die Linken einer unreflektierenden Islamphobie hin? Oder ist sie, die „taz“-Leserschaft, einfach nur in die Jahre gekommen, im Kampf ergraut und ermattet, rechnet ihre Rentenansprüche durch und mag nicht mehr unterscheiden zwischen rechtspopulistischem Gejohle und nüchterner Analyse? Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Milieus vermischen, dass rinks und lechts sich velwechsern. Aber so krass? Man hätte die Umfrage als weiteren Beleg werten müssen, dass dieses Land kurz vor der Erstarkung einer rechtspopulistischen Partei steht, die nicht mal mehr einen charismatischen Führer braucht, nur eine Dumpfbacke.

Am frühen Nachmittag kam dann die Entwarnung. Offensichtlich wurde das Umfrageergebnis manipuliert. Im Durchschnitt, so verlautete es aus der Chefredaktion der „taz“, werde die tägliche Onlineumfrage etwa 2000 Mal angeklickt, am Montag, bei der Frage nach der Ernsthaftigkeit Seehofers, gab es 28 000 Stimmabgaben. Schon vor ein paar Wochen, bei der Laufzeitdebatte der Atomkraftwerke, war die „taz“ Opfer eines Hacker-Angriffs geworden. Erleichtert kann man nun zur Kenntnis nehmen, dass noch nicht alles und alle unverlässlich geworden sind. VERBOTEN ist nicht vergeblich.

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