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Tebartz-Van Elst, Hans Barlach und Co.: Wie manche Zeitgenossen unsere Zeit fressen

Ihretwegen gibt es Sorgen und Albträume, endlose Sitzungen und Telefonate: Les Chronophages, Zeitfresser, nennen Franzosen die Leute, die ohne sinnstiftenden Zweck und guten Anlass die Lebenszeit andrer wegraffen, rücksichtslos, egoman, lebensblind. Der Bischof von Limburg ist nur einer von vielen.

Von Caroline Fetscher

Wer zum Teufel hat uns, wieder mal, mitten im Frieden, mitten in der halbwegs gut funktionierenden Demokratie, einfach so die Lebenszeit gestohlen? Wer hat da wieder so viele Nachrichten über so wenig produziert und provoziert?

Seit Wochen befasst sich die allgemeine Öffentlichkeit mit einem Bischof, der sich eine Art vergoldeten Badezuber in seinen Wohnsitz hat einbauen lassen und überhaupt millionenfach Gelder von Gläubigen vergeudete. Seit Monaten befasst sich die kulturelle Öffentlichkeit mit einem Mann, der einen der besten Verlage des Landes ruinieren möchte. Anstand, Abstand, Verstand fehlen den Protagonisten. Dennoch erfährt man mehr über sie und ihre bizarren Gemütszustände und Aktionen, als man je wissen wollte. Der Saus-und-Braus-Bischof lebt in Limburg und heißt Franz-Peter Tebartz-van Elst. Der Verlagsterminator heißt Hans Barlach, ihm gehören etwa zwei Fünftel des Hauses Suhrkamp, dessen Fortbestehen er vor Gericht bekämpft. Beide Fälle scheinen sich der Klärung zu nähern, und die Frage stellt sich: Womit haben wir uns da beschäftigen müssen?

Bischof wie Barlach handelten im Kern schlicht destruktiv, aber beiden ist es gelungen, dass auf Abertausenden von Zeitungsseiten und Webseiten von ihnen die Rede war, dass Leute in Tausenden von Sendeminuten etwas über sie zu hören bekamen. Es gab, gibt kaum eine Chance, medial oder im alltäglichen Smalltalk von ihnen unbehelligt zu bleiben. Dutzende desaströser Details aus der Buchführung des Skandalbischofs wurden serviert, hundertfach wurden die Einwürfe des Verlagsdesperados mit all ihren juristischen Finessen und Fallstricken publik.

"Les Chronophages" nennen die Franzosen Leute, die ohne guten Anlass die Lebenszeit anderer wegraffen

Solche Fälle der Vanitas, der wertlosen Vergeblichkeit irdischen Irrens, konsumieren medial die Lebenszeit ihrer Zeitgenossen und ganz real die Lebenszeit all derer, die sich mit ihnen persönlich, juristisch, faktisch, emotional befassen müssen. Ihretwegen gibt es Sorgen und Albträume, endlose Sitzungen und Telefonate, verpasste Feiertage, irre Anwaltsrechnungen, wilden Termindruck, vertröstete und enttäuschte Angehörige der Beteiligten – versäumtes Leben allüberall. Les Chronophages, Zeitfresser, nennen Franzosen die Leute, die ohne sinnstiftenden Zweck und guten Anlass die Lebenszeit andrer wegraffen, rücksichtslos, egoman, lebensblind. In Bischof und Barlach bieten sich dem Publikum derzeit zwei bizarre Beispiele. Der eine ließ sich ein geschmackloses Haus mit dem Geld anderer bauen, der andere will ein wertvolles Haus mit eigenem Geld einreißen.

Draußen in der realen Welt bemühen sich Ärzte und Seelsorger um Kranke, um zerfallende Familien, erbitterte Geschiedene, gefährdete Kinder. Autoren und Lektoren wollen engagierte Bücher herstellen, Manuskripte begutachten, sie diskutieren, Fahnen lesen, der Mitwelt Stoff zum Reflektieren bieten, sich über Rezensionen freuen. Regierende müssen über Syrien oder Israel oder Mindestlöhne nachdenken, über die Mieten und den sozialen Frieden und die Energiewende. Ingenieure konstruieren Windkraftanlagen, Architekten entwerfen Häuser, Historiker wälzen Archivakten, Lehrende kämpfen mit zappligen Schulklassen, Musiker proben für Konzerte. Verliebte tasten sich durch ihre Unsicherheit, Zankende suchen Versöhnung. Es gibt da überall ein paar wichtige Dinge zu besprechen, zu bedenken und zu tun. Indes fressen groteske Chronophagen dem gesellschaftlichen Diskurs an den Rändern bis in die Mitte die Zeit weg, Millionen von Stunden, bis hinein in die ersten Zeitungsseiten. Neben Bischof und Barlach gibt es ungezählte andere, wie den bildungsfernen Fernsehentertainer und den verrannten Tennisveteran, die öffentlich über eine Ex- oder Nochfrau streiten und deren Ausstoß an gegenseitigen Invektiven Zeitungen wie Netznutzer glauben zitieren zu müssen.

Zur prozesshaften Dynamik des Zeitkannibalismus gehören, wie bei einem starken Alleskleber, zwei Komponenten. Die eine Komponente ist die krasse, narzisstische Überdosiertheit der Protagonisten, die andere ist die disproportionale Gier, mit der sich Medien für eben deren Dynamik einspannen lassen. Dem auch medialen Magnetismus der Vanitas entkommt kaum einer. Damit wird klarer, wie der Appell an die Chronophagen selber lauten müsste: Machen Sie sich klar, wie viele hunderttausende Stunden der Lebens- und Arbeitszeit der anderen Ihr Tun und Lassen andere kostet. Ist es das wert? Allenfalls als Materiallieferung fürs Kabarett.

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