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Kultur: Tempo

Kairo-Impressionen in der Galerie Anna Augstein

Verschleierte Frauen hasten die Straßen entlang. Dazwischen Männer mit Kaftan und Turban, aber auch einer in Jeans und Sakko. Ein anderer zieht einen Karren durch die Stadt. Jeder ist mit sich beschäftigt und dennoch Teil der Metropole, was Torsten Warmuth durch die kunstvolle Unschärfe seiner Fotografien unterstreicht. Vor einem heruntergelassenen Rollladen heben sich die Vorbeihuschenden wirkungsvoll ab, werden zu theatralischen Erscheinungen auf einer Bühne. Dabei sind sämtliche Einzelaufnahmen, die sich zur extremen Breitwand addieren, „fokusscharf“ und die Verwischungen das Ergebnis ihrer langen Belichtungszeit.

Warmuths Großformate aus Kairo verdanken sich einem aufwendigen Verfahren. In Weltstädten wie dieser geht er mit seiner Großbildkamera auf die Pirsch – in ein Khawa (Kaffeehaus), an einen belebten Verkehrskreisel oder auf einen Markt für Autoersatzteile, wohin sich sonst selten Touristen verirren. Warmuth sucht jenen Moment, in dem sich die Porträtierten unbeobachtet wähnen. Zu Hause im Kreuzberger Atelier kann sich die Entwicklung einer einzigen perfekten Vergrößerung seiner schwarz-weißen Motive dann über mehrere Tage hinziehen. Dank verschiedener Toner verleiht er den Sujets jene zarte Farbigkeit und Verdichtung, die seine Fotos wie frühe Aufnahmen von Orientreisenden wirken lassen. Kostbar und unwiederbringlich scheint der eingefangene Moment.

Dennoch ist Warmuth kein Nostalgiker. Auch in die chaotische 15-MillionenStadt Kairo brandet die Gegenwart. Geschlossene Rollläden sind ihre Signatur, ebenso das beschleunigte Tempo, das quer steht zur ostentativen Gelassenheit des Orients. Mit dem Ausstellungstitel „It’s a Man’s World“, den er dem Hit von James Brown entliehen hat, spielt Warmuth auf den allgegenwärtigen Machismo an. Die Frauen bleiben unter Stoffmassen verborgen. Doch schärft gerade das Diffuse und mitunter Durchscheinende seiner Gestalten die Aufmerksamkeit des Betrachters. In den Kompositionen inszeniert Warmuth den Flaneur des 21. Jahrhunderts, schafft ein fotografisches Passagenwerk. Martina Jammers

Anna Augstein Fine Arts, Fasanenstr. 69; bis 18.1., Di–Fr 12–19 Uhr, Sa 11–16 Uhr

Martina Jammers

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